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In der Wunderkammer des Wissens

Die morgen beginnende Ausstellung „Theatrum naturae et artis“ im Gropius-Bau zeigt Objekte aus großen Sammlungen der Humboldt-Universität. Sie fragt nach der Nähe von Natur und Kunst – und stiftet eine neue Identität für eine alte Lehranstalt

von PHILIPP GESSLER

Ist eine Pestbeule schön? Die Sektion eines Menschen ästhetisch? Bedient es bloß dem Voyeursdrang, das Skelett eines „siamesischen“ Zwillingspaares zu zeigen, bei dem der deformierte Kopf des einen dem Gerippe des anderen Zwillings aus der Schulter zu wachsen scheint? Was soll man mehr bestaunen: die Lebendigkeit eines spätminoischen Stierkopfes aus dem Palast von Knossos, die düsteren Radierungen von Käthe Kollwitz oder das filigrane Modell eines unglaublich symmetrischen Strahlentierchens, das in natura nur zwischen 30 Mikro- und 2 Millimeter groß wird? Und was haben all diese Phänomene der Natur, Wunder der Kunst und Errungenschaften der Wissenschaft gemeinsam?

Sie sind Exponate der Ausstellung „Theatrum Naturae et Artis“ – Theater der Natur und Kunst. Wunderkammern des Wissens, die ab morgen im Martin-Gropius-Bau in Kreuzberg zu sehen ist. Die Ausstellung steht in der Nachfolge der „Sieben Hügel“-Schau, die bis zum Herbst dieses Jahres so viele Freunde wie Feinde gefunden hatte. Ursprünglich ein Teil der „Sieben Hügel“, entschlossen sich die Ausstellungsmacher ob der Reichtümer ihrer Sammlungen schnell, eine eigene Schau zu wagen. Die Humboldt-Universität zeigt in ihr 1.100 Objekte aus den über 30 Millionen Objekten der mehr als 100 Sammlungen ihrer Institute.

„Nicht: vieles zu erkennen, aber: vieles miteinander in Berührung zu bringen, ist eine Vorstufe des Schöpferischen“ – dieser Satz des Dichters und Malers William Blake, zitiert im Katalog, erläutert das Prinzip der Ausstellung: die Wunder von Natur und Kunst, die Verbindungen zwischen Geistes- und Naturwissenschaften aufzuzeigen. Eben ein „Theater der Natur und Kunst“ zu schaffen, wie der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz es bei der Gründung der Akademie der Wissenschaften vor 300 Jahren forderte. Eine Welt im Kleinen, jedoch zusammengesetzt nicht in beliebiger Vielfalt, sondern nach strengen Regeln einer sich gegenseitig befruchtenden Vielfalt.

Ist dies gelungen? Auf jeden Fall kann man sich begeistern über die natürlichen und künstlichen Wunder der Welt – und an manchen Exponaten mit offenem Mund dastehen wie der große Anthropologe und Mediziner Rudolf Virchow, den ein historisches Foto in der Ausstellung just mit diesem staunenden Gesichtsausdruck 1889 bei der Ausgrabung des antiken Aquincum bei Pest an der Donau zeigt. Sie zerrt Besucher in schneller Folge durch die Lüste der Erkenntnis, die Schocks der Abwehr und die Freuden der Schönheit.

Doch die Schau ist zugleich mehr, zumindest für die, die sie erstellt haben, wie Horst Bredekampf vom kunstgeschichtlichen Seminar, Jochen Brüning vom Institut für Mathematik und Cornelia Weber vom Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik: Die Ausstellung hat der durch Sparzwänge und gegenseitigen Konkurrenz arg gebeutelten Humboldt-Universität wieder so etwas wie einen Commonsense zurückgegeben. Zeigt sie doch, was die lange Zeit verkrustete Traditions-Uni in einem Kraftakt von nur neun Monaten Vorbereitungszeit noch zu leisten im Stande ist. Und was sie, trotz allem, sein könnte: eine Wunderkammer des Wissens.

Ausstellung vom 10.12.2000 bis 4.3.2001, Di. bis So. 10 bis 20 Uhr, Sa. bis 22 Uhr, Martin-Gropius-Bau, Niederkirchner Str. 7, Eintritt: 10 DM, 7 DM (erm.)Zur Ausstellung ist ein Katalog samt Essay-Sammlung in zwei Bänden erschienen: Sie kosten in der Ausstellung zusammen 68 DM, gebunden im Buchhandel 49 DM pro Band

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