: Im Herzen des Piranhas
Eine Sensibilität, die im deutschen HipHop sonst keiner wagt. MC Pyranjas Motto ist: Keep it real
von THOMAS WINKLER
Die Oranienstraße ist an diesem trüben Herbsttag ihr nachmittäglich belebtes Selbst. In einem ruhigen Hinterhof liegt das Büro von Pyranjas Plattenfirma. Heute gilt es, die T-Shirt-Farben auszusuchen, auf die demnächst ihr Name gedruckt wird. Popstaralltag.
Noch aber ist Pyranja kein Popstar. Noch ist Pyranja eine hoffnungsvolle Rapperin, eine der ersten Verpflichtungen von Def Jam Germany. Bislang hat sie zwei Maxi-Singles herausgebracht, Ende Januar wird ihre erste EP erscheinen. Fünf Songs, in denen die 22-Jährige über entspannt rollenden Beats erzählt, wie sie zu ihrer „wahren Liebe“ HipHop steht, dass sie „Respekt und Applaus“ will, und in denen sie „das alte Lied vom Kampf Verstand gegen Leidenschaft“ noch einmal singt. Dabei fließen ihre Reime jederzeit souverän, und die im HipHop scheinbar unvermeidlichen Floskeln wie „Pyranja ist am Start“ bricht sie mitunter durch eine leichte Ironie.
Wo sich bei vielen MCs hierzulande die Lyrik im Anpreisen der eigenen Selbstüberschätzung erschöpft, verknüpft Pyranja kleine, alltägliche Beobachtungen mit Berichten aus ihrem Innenleben. Es ist eine Sensibilität, die im deutschen HipHop noch nicht allzu oft gewagt wird. „Die Texte sind das Essenzielle“, sagt sie und gibt gerne zu, nicht die allergrößte Freestylerin zu sein. Trotzdem: Wenn sie auf der Bühne zur Battle gefordert wird, zum Wettstreit der Reimschmiede, hält sie dagegen. „Ich trau mir das schon zu, aber mir ist wichtig, dass die Texte stimmen.“
Mit 13 Jahren kam sie in ihrer Heimatstadt Rostock zum HipHop. Es war ganz normal, die kleine Anja war schon immer das Mädchen, das mit den Jungs spielte, und wollte im Kindergarten „immer Winnetou sein und nicht irgendeine Squaw“. So hat sie gemalt und gebreakt, also Graffiti gesprüht und Breakdance getanzt. Außer dem DJing hat sie also die berühmte Vierfaltigkeit vollständig durchexerziert, bevor sie sich auf das Rappen konzentrierte.
Wichtig war auch ein Jahr in Boston, wo sie studierte, bei den Versuchen aber, mit der dortigen Szene Kontakt aufzunehmen, schnell merkte, dass „mich da niemand gewollt oder gebraucht hat“. Und dass es in der Heimat doch nicht so schlecht ist. So kam sie vor zwei Jahren nach Berlin, um zu studieren, aber auch um mal was anderes zu sehen, wegzukommen von der alten Szene im Norden. In Berlin hat sie mit DJ Quest einen verlässlichen Mitstreiter gefunden, außerdem eine posse, die hinter ihr steht, und ein Label mit der Marketingkraft eines Majors.
Der Gegenwind kommt eher aus anderer Richtung. Es sind die Journalisten, die immer dieselben Fragen stellen: wie es denn so ist als Frau im HipHop. „Aber was soll ich da sagen“, sagt sie, „für mich ist es normal.“ Stattdessen, so glaubt sie, wollen „die Medien eine künstliche Konkurrenzsituation schaffen“. Verglichen wird sie immer nur mit anderen Frauen, aber keiner fragt, „wie ich zu den Absoluten Beginnern stehe“. Andererseits hat sie „höchstes Verständnis“ für diese Fragen. Schließlich ist die HipHop-Szene „sensibler und konservativer als die Volksmusik“. Aber sich über den grassierenden Sexismus aufzuregen, „da kannst du dich als Frau nur lächerlich machen“. Sie muss sich aber trotzdem damit auseinander setzen: „Ich habe das Gefühl, ständig beweisen zu müssen, dass ich das ernst meine.“
Noch allerdings sind die festen Rollenzuteilungen ihr Vorteil. „Klar, ich weiß ganz genau, wenn ich ein Typ wär, würde meine Platte nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen.“ Daraus wächst auch eine neue Verantwortung. Wenn Pyranja eine schlechte Platte macht, ist das nicht nur noch eine schlechte HipHop-Platte aus Deutschland, sondern eine Hypothek für die Frauen, die nach ihr kommen. „Zuerst bekommt man als Frau den Fünfminutenbonus, und wenn du dann verkackst, dann werden die alten Vorurteile bestätigt.“
„Ich hab mir ‚Keep it real‘ auf meinen Hintern tätowiert“, rappt sie in „Fremdkörper“, und wenn man sie fragt, was das bedeutet für sie, „Keep it real“, dann legt sie sich beide Hände aufs Herz und sagt: „Darauf hören, was da drin ist.“ Aber wenn man sie fragt, ob das wahr ist mit der Tätowierung auf dem Hintern, dann lacht sie nur und sagt: „Da sag ich nichts zu.“ Manchmal ist es dann doch ganz einfach, Frau und MC zu sein.
Heute, 19 Uhr, bei der „HipHop Jam 2000“ mit Roey Marquis, Harleckinz, Das Department, Analphabeten, KC Da Rookee u. a. in der Kuturbrauerei, Knaackstr. 97, Prenzlauer Berg, morgen im Waschhaus in Potsdam
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen