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eu-gipfelVorwärts in die Krise!

Vergesst Nizza, schaut auf Göteborg. Denn dort, in Schweden, wird der nächste EU-Gipfel stattfinden. Nicht unter der Präsidentschaft eines großen, sondern eines kleinen Landes. Zu welchem Kompromiss sich die Staatschefs in Nizza auch durchringen, sicher ist: Es war einer der größten Fehler der Union, die wichtigste Reform ihrer Geschichte unter der Führung eines Landes durchzuführen, die durch diese Reform einen Machtverlust hinnehmen muss.

Kommentarvon SABINE HERRE

Im Unterschied zu Deutschland ist die Aufnahme der mitteleuropäischen Staaten für Frankreich kein vorrangiges Ziel. Der geografische und politische Mittelpunkt EU-Europas wird künftig nicht mehr in Paris, sondern in Berlin liegen. Die ökonomischen Vorteile, die die Osterweiterung mit sich bringt, kommen zunächst dem direkten Nachbarn zugute – Deutschland. In Frankreich dagegen ist der Abbau der Sozialstandards durch die Aufnahme von Billiglohnländern bestimmendes Thema.

Und doch: Das Problem ist nicht Paris allein. Seit Wochen bekommen wir große Worte über die Bedeutung dieses Gipfels zu hören. Doch von europäischen Grundsatzreden zur Verteidigung nationaler Schoßhündchen scheint es nur ein kurzer Weg zu sein. EU-Europa ist eben immer noch nicht mehr als die Summe der Interessen seiner Mitglieder. Verfolgt in Nizza eigentlich ein Staatschef das Interesse dieses Kontinents? Wie ernst aber soll der Rest der Welt eine Europäische Union nehmen, die nicht in der Lage ist, in Fragen der Handwerksordnung (da sind die Deutschen vorn) oder der Filmindustrie (Blockierer: Frankreich) zu Mehrheitsentscheidungen überzugehen?

Wenn trotz aller Beschwörungen die Kompromissbereitschaft so gering ist wie nun in Nizza, muss sie vielleicht wirklich kommen – die ganz große EU-Krise. Und vielleicht führt ja die Beteiligung der Mitteleuropäer, die stolz auf ihre Fähigkeit zur Improvisation sind, zu ganz neuen, fantasievollen Lösungen. Warum etwa wird die Kommission nicht auf 13 Kommissare und einem Präsidenten begrenzt? Über einen „Staatssekretär“ könnten dennoch alle 27 Mitglieder dabei sein. Oder: Regionen wie Benelux, Skandinavien und Ex-Habsburg könnten sich auf gemeinsame Kommissare einigen. Ähnliches gab es übrigens schon: unter dem deutschen Kaiser Karl IV. Bei der Leitung seiner Prager Universität teilten sich Süddeutsche und Österreicher einen Senatorenposten. So löste das Mittelalter die europäische Frage.

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