Die Belgisierung der Liga

Das 4:0 von Neu-Tabellenführer Bayer Leverkusen gegen Alt-Tabellenführer Hertha BSC perpetuiert die Wirrnis in der Spitzengruppe der Fußball-Bundesliga, wo abwechselnd jeder jeden vom Platz fegt

Der neunte Wechsel an der Tabellenspitze. Man kann das spannend finden.

aus LeverkusenKATRIN WEBER-KLÜVER

Den Tabellenführer 4:0 zu schlagen, ist eine feine Sache. Besonders, wenn man dadurch selbst Tabellenführer wird. Andererseits: Hertha BSC Berlin ist in dieser Saison auch schon von Bayern und Schalke mit vier Toren abgefertigt worden, verliert also gegen die Konkurrenz in der Spitze offenbar immer. Und Bayer Leverkusen hat bisher als Tabellenführer selten eine gute Figur gemacht, die letzte Spitzenposition führte zu nichts als einer weiteren schmählichen Niederlage in München bei den Bayern.

Man sieht: Es wird nicht recht Winter, aber die Spiele werden auch in mildem Klima nicht besser, sondern immer schlechter. Gut möglich, dass diese Bundesligasaison im Geschichtsrückblick einmal als besonders niveaulos erinnert wird. Die einzige Konstante scheint beständiges Schwanken zu sein, wer heute 4:0 gewinnt, wird morgen an die Wand gespielt, wer mit einer Heimsiegserie startet, ist bald ein Abstiegskandidat, wer anfangs auftrat wie vom anderen Stern, schleppt sich heute nur noch als müde Altherrenriege herum. Vielleicht bringt die Winterpause Rettung für geschundene Fußballerkörper und ausgewrungene Fußballerseelen. Vielleicht aber auch nicht.

Solange man es nicht weiß, kann man spekulieren. Denkbar ist daher auch, dass der Rückblick auf den 16. Spieltag ergibt, Bayer habe mit dem Sieg gegen Hertha und der ersten Rückeroberung der Tabellenführung einen „big point“ gemacht. Berti Vogts kann es sich vorstellen, ist aber nicht sicher. Sicher war der Bayer-Trainer am Sonntag allein, dass „wir großartig gespielt haben“ und dass „so ein Spiel gegen den Tabellenführer für die Klasse der Mannschaft spricht“. Bei Bayer fehlten Nowotny, Ballack und Zé Roberto, also wesentliche Bestandteile dessen, was ein attraktives Leverkusener Spiel ausmacht. Dass es trotzdem ein Leichtes war, Berlin zu bezwingen, dokumentiert, wie es um die Liga steht.

Ebenso wie der Umstand, dass zwei Vereine das Spitzenspiel austrugen, die just frühzeitig aus dem Uefa-Cup ausgeschieden waren. Aus diesen Niederlagen immerhin ließ sich für die Trainer der Grund für das Leistungsgefälle zwischen ihren Teams ableiten. Vogts gestand, das klare, daher emotional nicht sonderlich erschütternde Ausscheiden in Athen habe für eine „bessere Ausgangsposition“ der Seinen gesorgt, während Jürgen Röber erkannte, die Niederlage „in Mailand in der 89. Minute wegzustecken“ sei „nicht einfach“ gewesen.

Oder anders gesagt: der Versuch missglückte. Hertha hatte in der Bayarena in 90 Minuten keine einzige Chance aus dem laufenden Spiel. Die Stürmer traten nur einmal in Erscheinung, namentlich Alex Alves, der sich mit Robert Kovac schubste. Weil Linienrichter Scheibel das als Tätlichkeit des Brasilianers auslegte und Heynemann diesem Votum folgte, flog Alves nach 70 Minuten vom Platz. Röber kündigte Protest an, weil der Platzverweis ein „Witz“ gewesen sei; Vogts assistierte gewohnt korrekt, auch er habe „ein Gerangel gesehen, nicht mehr und nicht weniger“. Spielentscheidend war die Dezimierung gleichwohl nicht. Denn entschieden war die Partie bereits Mitte der ersten Halbzeit, nachdem Neuville dank großzügiger Abseitsauslegung das 1:0 (7.) und kooperativer Berliner das 2:0 (22.) erzielt hatte. „Wir haben die ersten beiden Tore verschenkt, und wenn man zwei Tore hinten liegt, ist das ein Problem“, erklärte Jürgen Röber.

Der nach dieser Vorentscheidung flugs eingewechselte Beinlich konnte in einer Mischposition zwischen Mittelfeld und Abwehr keine Wende zugunsten der Berliner mehr initiieren. Und er war nach dem Abpfiff sehr ratlos: „Leverkusen hat fast jeden Zweikampf gewonnen, ist energisch zur Sache gegangen und hat nach vorn gespielt. Wir haben nicht mal vernünftigen Kampf hingekriegt.“

Torwart Kiraly bekam immerhin Unterhaltung hin: In der 66. Minuten ließ er einen Schuss von Ramelow am kurzen Pfosten ins Tor rollen. Kurz nach der Hinausstellung von Alves holte Kiraly als Zugabe, Revanche oder was auch immer Kovac von den Beinen und parierte den Strafstoß von Kirsten. Als Wosz mit einem Foul an Vranjes in der 82. Minute den achten Elfmeter dieser Saison gegen Berlin provozierte, ließ Rink Kiraly keine Chance.

Berti Vogts war da endgültig „glücklich, dass wir die Tabellenspitze übernommen haben“. Es war der neunte Wechsel an der Tabellenspitze. Man kann das spannend finden. Vielleicht ist es aber nur die schleichende Belgisierung der Bundesliga.

Bayer Leverkusen: Matysek - Zivkovic, Vranjes, Kovac - Reeb, Schneider, Ramelow, Neuendorf (68. Babic), Ojigwe - Neuville (83. Daun), Kirsten (77. Rink)Hertha BSC: Kiraly - Rehmer, Sverrisson, Schmidt (22. Beinlich) - Deisler, Dardai (62. Veit), Wosz, Tretschok, Hartmann - Daei (46. Alves), PreetzZuschauer: 22.500Tore: 1:0 Neuville (7.), 2:0 Neuville (19.), 3:0 Ramelow (67.), 4:0 Rink (82./Foulelfmeter) Rote Karte: Alves (Hertha/70.) wegen Tätlichkeit