: Frauen, Männer, Schildkröten
■ Die Bremische Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau hat ihren 20. Geburtstag gefeiert / Fazit: Umdenken ist angesagt
Spaß? „Ich habe nichts gefunden“, erklärt Ursel Kerstein zu der Aufgabe herauszufinden, was ihr bei ihrer Arbeit denn Spaß gemacht habe. Ursel Kerstein war mal Frauenbeauftragte des Landes, die allererste. Und ein bisschen Spaß wäre schön gewesen angesichts des 20. Geburtstages der Gleichstellungsstelle, die hier Zentralstelle zur Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau, kurz ZGF, heißt. Kein Spaß, findet Kerstein im Rückblick, stattdessen: „Frust, Frust, Frust!“
20 Jahre ZGF und zehn Jahre Landesgleichstellungsgesetz waren Anlass für ein Riesenfest im Rathaus am Montagabend. Von Frust keine Spur, stattdessen Feierlaune, ein Vortrag, Grußworte, Wein und Schnittchen, eine Podiumsdiskussion im komplett bis auf den letzten Platz besetzten Rathaussaal. Der Tenor: Es ist längst nicht alles, aber viel erreicht, es sieht nur nicht immer so aus. Und: Umdenken ist angesagt.
„Die teilweise in Politik und Verwaltung anzutreffende Einstellung, dass nun doch entschieden genug für die Frauen getan worden sei, ist jedoch leider viel schneller gewachsen als die faktische Gleichstellung“, befindet Frauensenatorin Hilde Adolf (SPD) und zitiert Kersteins Vergleich von Frauenpolitik mit der griechischen Landschildkröte: „Sie bewegt sich langsam – aber sie ist äußerst langlebig.“
Die Vorlage des Abends liefert Carol Hagemann-White, Professorin für Geschlechterforschung an der Universität Osnabrück. Ihr Vortrag heißt „Von der Gleichstellung zur Geschlechtergerechtigkeit: Das paradoxe Unterfangen, sozialen Wandel durch strategisches Handeln in der Verwaltung herbeizuführen“. Es geht ihr um das, was institutionalisierte Frauenbewegung in Form von Gleichstellungsstellen erreicht hat. Hagemann-White macht drei Strategien aus, wie Frauen bisher versucht haben, ihren Anteil an Geld, Macht, Arbeit zu erlangen, alle drei in ihrer Verknüpfung fatal: „Das Prinzip abstrakter Gleichberechtigung will das Geschlecht ausschalten; die Frauenförderpolitik setzt Frauen in kollektive Konkurrenz zu Männern um knappe Ressourcen, und das Prinzip der Rücksichtnahme definiert das Leben als eine Störung, die nur in genehmigten Einzelfällen den Gang der Karriere unterbrechen darf.“ Die Konsequenz: „Das Ergebnis ist mehr oder weniger eine Behandlung von Frauen als Behinderte“. Ihre Vision: Eine neue Geschlechterkultur, echte Geschlechterdemokratie.
Wie dahin zu kommen sei, das ist die Frage der Podiumsdiskussion, die die Landesfrauenbeauftragte Ulrike Hauffe moderiert. Paktieren, sagt Ursula Nelles, Professorin an der Uni Münster und Vorsitzende des Deutschen Juristinnenbundes, und zitiert BDI-Chef Hans-Olaf Henkel. Der hat angesichts mangelnder Arbeitskräfte die Frauen als wertvolles Potenzial erkannt, was nicht einfach hinter dem Herd versauern darf – eine Argumentation, die schon in den 50er Jahren funktioniert hat. Nelles: „Es kann uns doch nichts besseres passieren als der Schulterschluss mit dem BDI-Präsidenten.“ Ihr Tipp: „Beutegemeinschaften“ mit Männern bilden. Soll jeder seine Interessen verfolgen, wichtig ist nur, dass für die Frauensache etwas herausspringt.
Paktieren sei aber nicht jedermanns Sache, hält die Politikwissenschaftlerin Clarissa Rudolph vom Cornelia-Goethe-Zentrum in Frankfurt/Main dagegen. Als Jüngste auf dem Podium sollte sie junge Frauen und ihr verändertes Verständnis von Emanzipation repräsentieren, konnte aber nur Altbekanntes feststellen: „Junge Frauen haben viele Entwicklungsmöglichkeiten, aber nur bis zu einem bestimmten Punkt: bis zur Erwerbstätigkeit, zur Geburt des ersten Kindes oder der Entscheidung, kinderlos zu bleiben.“ Also: „Da hat sich nicht wirklich was verändert.“
Dass die Frauenbewegung der 70er Jahre mitnichten ausgedient hat, versucht Ulrike Hauffe zu belegen mit Zitaten einer Allensbach-Studie, nach der 70 Prozent befragter junger Frauen auf das Wort „Emanzipation“ positiv reagierte.
Luc Jochimsen, Chefredakteurin vom Fernsehen des Hessischen Rundfunks, ist davon überhaupt nicht beeindruckt. Solche Quoten seien typisch für Umfrage-Ergebnisse, nach dem Motto: „Ich find' Emanzipation gut, nur tu' ich nichts dafür.“ Ihr Rezept für ein bisschen mehr Geschlechterdemokratie: Ganztagsschulen. „Ich versteh' überhaupt nicht, dass sich die Frauen in der Bundesrepublik sich das gefallen lassen, dass es keine Ganztagsschulen gibt.“
Statt andauernd über die mehr oder minder machbare „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ zu lamentieren, sollte diese Floskel endlich zu einer klaren Forderung werden, sagt Barbara Stiegler von der Friedrich-Ebert-Stiftung: „Es geht um die Umverteilung von Geld, Macht und Arbeit.“ Sie erklärt das neue Instrument „gender mainstreaming“: Eine Verwaltung verpflichtet sich, in allen – Betonung auf „allen“ – Entscheidungsprozessen die Geschlechterverhältnisse zu berücksichtigen. Die Gefahr sieht Stiegler im Aushebeln bisheriger Strategien: „Wozu brauchen wir die Quote, wir gendern ja jetzt.“
Auch auf dem Podium: Frauen-senatorin Hilde Adolf. Ihr Fazit, schon zu Festbeginn: „Auch Männer müssen sich auf den Weg der Geschlechterdemokratie begeben, und sie lernen es, da bin ich sicher. Sie brauchen nur manchmal ein bisschen sehr lang dafür. Dagegen ist die griechische Landschildkröte direkt rekordverdächtig.“ sgi
Die taz dokumentiert den Vortrag von Carol Hagemann-White am kommenden Samstag, 16. Dezember, in voller Länge.
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