: Rorschach durchschauen
Zwei Studenten haben die Auswahltests und Psychotricks von Unternehmen geknackt – und verraten ihre Ergebnisse. Psychologen bestätigen: Viele Tests sind alt, ihre Interpretationen haarsträubend
von ISABELLE SIEMES
„Mal mal einen Baum“, lautet die schienbar kindergartenleichte Aufgabe beim Einstellungstest einer großen Firma. Einen windtrutzenden Stamm, fest verwurzelt in der Erde, zeichnet darauf der diplomierte Uni-Absolvent. Der Kandidat fällt durch. Warum? Das starke Wurzelwerk verweist auf Geisteskrankheit, die Baumneigung nach links auf eine ungelöste Mutterbindung. Kein Managertyp – meint jedenfalls das vom Bewerbungstester ausgestellte Psychogramm.
Ob Rorschachs Tintenklecks-Bilder vom Anfang des 20. Jahrhunderts oder Kochs Baumdeutung von 1949 – in modernen Büroetagen kommen die verstaubten Tests wieder zum Einsatz. Die Studenten Ralf Dietrich und Thomas Ullrich aus Düsseldorf haben Personalchefs bei ihren Methoden der Rekrutierung auf die Finger geschaut. In ihrem Buch „Das Geheimwissen der Personalberater und Testpsychologen“ knacken sie die Raster der Fragebögen. Eine wiederkehrende Struktur entdeckten die beiden Naturwissenschaftler auch bei Assessment-Centern, in denen Mitarbeiter in spe mit Rollenspielen und Stressinterviews geprüft werden.
„Kommilitonen mit sehr guten Noten haben sich bei uns ausgeweint, weil sie nicht eingestellt wurden“, erklärt Biologiestudent Dietrich, wie er und Koautor Ullrich auf die Idee kamen, die Psycho-Tests zu untersuchen. „Wir haben dann festgestellt, dass man die Muster knacken kann“, berichtet Ullrich begeistert. Die Logikprüfungen konnten die beiden Düsseldorfer auf wenige Lösungsvarianten reduzieren. Denn die Zahlenaufgaben der Personalchefs sind meistens einfach aus Logikbüchern abgeschrieben.
Die Tests gehen von Fragebögen der klinischen Psychologie aus, deren Raster ebenfalls nachzulesen ist. „Die Antworten müssen dann auf das Stellenprofil angestimmt werden“, erläutert Ullrich. Den Satz „Ein Hund, der nicht gehorcht, verdient Schläge“ sollte die Stewardess nicht bejahen, wohl aber der aggressive Managementanwärter. Doch Vorsicht: „Machos sind auch nicht gerne gesehen.“ Deshalb besser ein, zwei „soft-skills“ pro Bogen angeben.
Zwei Jahre suchten die zwei Studenten Testbögen zusammen. Sie trafen sich mit Personalberatern in verschwiegenen Kneipen, bei denen Infos geflüstert, klandestin Material über den Tisch geschoben wurde. Sogar das Manuskript wollte ihnen einer abkaufen, damit das Buch nicht erscheint. Doch den Triumph wollten sich die Studis nicht nehmen lassen. „Jeder soll diese Prüfungen bestehen können, damit sie langfristig abgeschafft werden“, sagt der 25-jährige Ullrich, der das Projekt „Campus strikes back“ nennt.
Der Verband Deutscher Psychologinnen und Psychologen stützt die Erkenntnisse der beiden Studierenden. „Die Tests für die Personalauswahl sind häufig veraltet“, meint Vizepräsident Harald Ackerschott, „und ihre Interpretationen erscheinen nicht nur den Teilnehmern oft an den Haaren herbeigezogen.“ Der Grund sieht der Diplompsychologe in der Kultur der Unternehmen. „Viele Betriebe haben einfach noch gutsherrliche Attitüden gegenüber Bewerbern – auch wenn man sich vordergründig über Bewerbermarketing viele Gedanken macht.“
Während die Testknacker aus dem Rheinland auf ihre Art versuchen deutsche Assessment-Center und Persönlichkeits-Checks zu vereiteln, sind andere Länder schon weiter. „In Japan liegt die Quote der formalisierten Verfahren bei unter zehn Prozent, dort werden informelle Gespräche mit künftigen Mitarbeitern bevorzugt“, berichtet der renommierte Kasseler Hochschulforscher Ulrich Teichler. Selbst in den testgläubigen USA sind die Assessment-Center auf dem Rückzug. Es gab viele Rechtsstreite wegen Diskriminierung bei der Formalauslese.
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