piwik no script img

Der Volkswagen unter den Filmen

Die große Retrospektive „50 Jahre Fernsehfilm“ auf 3sat wartet mit Kabinettstückchen aus dem Fundus von ARD, ZDF, ORF und SRG auf. Und malt dabei, mal mehr, mal weniger gelungen, aber immer authentisch, auch ein Bild von 50 Jahren Deutschland

von BIRGIT GLOMBITZA

Eine handelsübliche Mattscheibe ist kaum größer als ein Bierkasten. Für die Filme, die auf die Leinwand gehören, ein schlechter Tausch. Das Verhältnis zwischen Spielfilm und Sendeanstalten durfte darum etwa so herzlich ausfallen wie das zwischen den Grauwölfen in Hagenbecks Tierpark und ihren Pflegern. Als Förderer ist das Fernsehen, allen voran die Redaktion des „Kleinen Fernsehspiels“ unverzichtbar, als Produzent mit „Format“-Vorstellungen ein Klotz am Bein. Die Retrospektive widmet sich „dem Genre, das aus dem Medium selbst hervorgegangen ist“, so schalmeit der Pressetext und tauft fröhlich auch die Filme zum Fernsehfilm um, die sicher nicht von einem Premierenabend im Wohnzimmer geträumt haben.

Der Rückblick der Jubiliare beginnt in den 50ern, als das TV die Rolle des abendlichen Geschichtenerzählers vor Knabberfix und Nierentisch übernahm: Von 1957 bis 1968 verloren die Lichtspielhäuser ein Viertel ihrer Zuschauer. Kinos mussten schließen. Es wurde Zeit, etwas Eigenes zu entwickeln. Eine Art „Volkswagen unter den Filmen“ , wie es Filmwissenschaftler Thomas Koebner im Presseheft schreibt. Der erste selbst geschraubte „VW“: der TV-Krimi. Die Bundesrepublik nach den ersten Wohlstandsjahren lieferte den Stoff. Kommissare mit Seitenscheitel und Popelinmantel lieferten nicht nur den Täter, sondern auch soziale Diagnosen. Der seltsam biedere Oberflächenrealismus wurde zum Markenzeichen des TV-Films der 50er-Jahre. Auch in den wenigen Filmen wie „Besuch aus der Zone“ (heute, 22.25 Uhr, 3sat) dient vom Bahnhof bis zu rauchenden Schloten jedes Bild als Nachweis für das Alltägliche. Es ist die Alltäglichkeit des kleinen Mannes, der schon früher von allem nichts gewusst hat und sich auch jetzt „nach den Verhältnissen richtet“. Kleinschmidt heißt er und wird vom „Untertan“ Werner Peters gespielt. Kleinschmidt besitzt eine Textilfabrik in der Sowjetzone. Der Exportschlager des Betriebs ist eine wundersame Kunstfaser namens Relon. Sie garantiert der Fabrik nicht nur harte Währung, sondern schützt ihre Inhaber vor der Enteignung. Kleinschmidt geht in den Westen. Für eine Stelle als technischer Direktor muss er jedoch das Herstellungsgeheimnis von Relon preisgeben.

Ein didaktischer Industriefilm, der den Kleinschmidts vor der Glotze die Gesetze der freien Marktwirtschaft erklärt. Redlich und rührend. Zwischen Eierlikör und Schrankwand diskutieren die Geschäftsmänner Produktionsabläufe, während die Ehefrauen vom Einkaufsbummel schwärmen und die Ostjugend den Einflüsterungen der Westjugend auf den Leim geht.

Produktions- und Arbeiterfilme gehören seit den Anfängen zum Repertoire des Fernsehfilm. Vom Monolog des Lagerhilfsarbeiters „Herr Karl“ von Erich Neuberg (27. 12.) bis zu Christian Ziewers „Liebe Mutter, mir geht es gut“ (7. 3. 01). Der Film der Berliner Schule beschreibt Streikabläufe in den Arbeitskämpfen der Rezessionsphase ab 1966.

Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre kam dank des Filmförderungsgesetzes und dem Engagement einiger Verleiher auch der Autorenfilm finanziell auf die Beine. Eine Entwicklung, die sich im Fernsehen ebenfalls niederschlug und von der Retrospektive mit Filmen von Alexander Kluge, Wim Wenders und anderen bedacht wird. In den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten besetzte der Nachwuchs aus der 68er-Bewegung Schlüsselpositionen und sollte für eine moderne Kulturpolitik sorgen. Ableger studentischer Agitpropfilme fanden so mit sozialrevolutionärer Romantik und Pop-Hedonismus einen Programmplatz.

Neben dem bekannten Zweiteiler „Tadellöser & Wolf“ ( 15. und 16. 4. 01) zeigt 3sat auch Eberhard Fechners „Nachrede auf Klara Heydebreck“ (1. 2. 01). Fechner studiert Klara Heydebrecks Wohnung, Lohnbücher, Überbleibsel. Behutsam bringt er eine Biografie in der Montage zum Sprechen. Über Rainer Erlers „Fleisch“ (2. 5. 01) und dem großartigen „Drachenfutter“ von Jan Schütte hangelt sich der Rückblick weiter durch die 70er und 80er, streift den Beginn des Komödienbooms, um schließlich bei Fatih Akins „Kurz & Schmerzlos“ zu landen. Eine bisweilen recht holperige Reise für einen alten Volkswagen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen