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Brechmittel für Hamburg

Der Amtsrichter und PRO-Vorsitzende Ronald Barnabas Schill zieht in Sachen Innere Sicherheit auf Stimmenfang durch die Vorstädte. Die Säle sind voll, und die Zustimmung ist groß  ■ Von Peter Ahrens

Draußen ist es nass und ungemütlich, draußen regiert das Verbrechen, das ist das Reich der Handtaschenräuber und Drogendealer. Drinnen ist es warm und eng, drinnen schmeckt das Bier, drinnen redet der große Vorsitzende. Ronald Barnabas Schill sagt: „Je krimineller und asozialer die Minderheit, desto beliebter ist sie bei den Politikern.“ Die Leute, die in Wandsbek und Lurup an langen Tischen sitzen und ihm zuhören, murmeln beifällig. Hier spricht einer, der ihnen aus der Seele redet, der das sagt, was sie immer schon geahnt haben: „Ich habe Politik immer für ein schmutziges Geschäft gehalten, aber ich habe nicht geahnt, dass es so schmutzig ist.“

Ronald Schill nimmt jetzt an diesem Geschäft teil, bis zur Wahl sind es noch neun Monate, aber er zieht schon mal für seine Partei Rechtsstaatlicher Offensive (PRO) durch die Vorstädte, denn er weiß: In Langenhorn und Billstedt, in Wandsbek und Lurup, da sind die Wählerstimmen abzuholen, die er braucht.

St. Pauli, das Schanzenviertel, Altona – das ist Feindesland für Schill. Einen Auftritt in Ottensen hat er kurzfristig abgesagt, als sich im Vorfeld Protest gegen die Veranstaltung erhob. Da geht er lieber ins Luruper Kulturhaus: Hier rennen ihm die Leute die Bude ein, hier wie ein paar Tage zuvor in Wandsbek ist der Saal bis über den letzten Platz hinaus gefüllt – viele alte Leute sind da, aber bei weitem nicht nur alte. Als Schill die Geschichte von dem Sexualstraftäter Schmökel erzählt, der sechsmal ausbrechen konnte, ruft einer: „Aufhängen.“ Er meint Schmökel.

Schill zieht seine Show ab, und die Show kommt an. Es ist die Schau des vom SPD-Apparat Verfolgten, der aus Verzweiflung über die Verhältnisse selber in die Politik gegangen ist. Denn die Verhältnisse, die sind nicht so, dass sie ihm und seinen ZuhörerInnen gefallen könnten. Schills Welt: Ausländische Drogendealer können unbehelligt ihrem Handwerk nachgehen, die 68er haben das System unterwandert („Herr Runde bezeichnet sich selbst als 68er. Das sieht man ihm auch an.“ Gelächter), der Polizeipräsident hat keine Ahnung, eine Verschwörung aus Politikern, Sozialpädagogen, Jugendrichtern und Psychologen sorgt sich nur um Täter, die Opfer, wie die Frau, die in ihrem Laden dreimal im Jahr überfallen wird, werden im Stich gelassen. Damit hat er die Leute auf seiner Seite.

Als er das Thema „erlebnispädagogische Reisen“ anspricht, bei dem jugendliche Straftäter als Teil der Resozialisierung in andere Länder geschickt werden, kitzelt er die Empörung der Leute heraus. „Die werden noch für ihre Taten belohnt, die jungen Leute müssen ja weiter Autos knacken, weil sie so am bequemsten in ferne Länder kommen.“ PRO-Sprecher Rainer Koppke lobt am Ende besonders „den Schuss Humor“ Schills.

Wenn Schill geschlossene Heime fordert, karge Jugendarrestzellen – „für einen Haftplatz im neuen Gefängnis Billwerder wird mehr Geld ausgegeben als für eine Suite im Fünf-Sterne-Hotel“ – dann erhebt sich kein Wort des Widerspruchs. In der anschließenden Diskussion ereifert sich eine Frau, „wie es denn kommt, dass alle Asylanten Handys haben und in der ersten Klasse fahren“. Ein anderer erregt sich über das Kirchenasyl. Schill und seine Mitstreiter versprechen, dagegen etwas zu tun. Was, lassen sie offen.

Konkreter wird er, wenn er über die von ihm geouteten „afrikanischen Dealer im Schanzenviertel“ spricht, die bei einer Festnahme die Drogen in den Mund stecken und verschlucken. Brechmittel müssten her. Damit klar wird: Wer Schill wählt, wählt Brechmittel für Hamburg.

Besorgte Anfragen, dass die PRO bei 4,99 Prozent scheitern könne wie vor drei Jahren die rechtsextreme DVU, zerstreut er. Man werde locker über die Fünf-Prozent-Hürde kommen, und dann wird Schluss sein mit Tischtennisplatten und Videospielen in den Haftanstalten. Dann werden die Jugendrichter versetzt, dann herrscht wieder Ordnung in dieser Stadt. Der Parteivorsitzende sagt: „Die Wirklichkeit so zu manipulieren, dass am Ende das gewünschte Ergebnis herauskommt, das können die Juristen.“ Recht hat er, der Jurist Ronald B. Schill.

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