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Verschlungene Pfade

Die Historikerin Gudrun Wedel erhält den Margherita-von-Brentano-Preis. Geehrt wird ihre Erforschung autobiografischer Schriften von Frauen

von PETRA MAYER

Eine große Portion Hartnäckigkeit und viel Herzblut braucht sie für ihre Arbeit. Die Historikerin Gudrun Wedel erforscht seit drei Jahrzehnten Autobiografien von Frauen aus dem deutschsprachigen Raum, die im 19. Jahrhundert geboren sind. Ihre Motivation: „Ich möchte das Erfahrungswissen von Frauen veröffentlichen.“ Dabei gilt ihr Blick immer zunächst dem Individuum. Doch die Schriften, die die 51-Jährige untersucht, sind auch ein Stück Zeitgeschichte, in dem man gesellschaftliche Strukturen erkennen kann. Einziges Kriterium für Wedels Forschung ist der Zeitraum. „Mich hat die Breite interessiert.“ Gestern bekam sie dafür den Margherita-von-Brentano-Preis (siehe Kasten).

Wedel, die in Hessen geboren ist, hat in Frankfurt Germanistik und Geschichte studiert und arbeitet heute im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Projektes am Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der FU. Angefangen hat die Sisyphusarbeit für die seit 25 Jahren in Charlottenburg lebende Wissenschaftlerin mit dem Interesse für Autobiografien als historische Quellen, „um Hinweise auf die Lebensweise und den Alltag in früheren Zeiten zu erhalten“. Dabei stellte sie fest, dass Frauen kaum auftauchten. „Das hat mich geärgert.“ Das war 1971. Heute hat sie an die 2.000 Werke von insgesamt 1.000 Verfasserinnen gelesen – und ein neues Bild von Autobiografien gewonne. Denn Frauen erstellen im Gegensatz zu Männern nicht ein Lebenswerk, sondern oft mehrere Produkte, auch kleinere Formen, in Zeitschriften oder Sammelwerken. Das macht die Arbeit der Historikerin oft mühselig und langwierig. Wedel hat sich durchgekämpft. Durch Bibliotheken, Antiquariate, Trödelmärkte. Hat in Bibliografien und Literaturverzeichnissen gewühlt – und oft Monate auf bestellte Bücher gewartet. Dies soll folgenden Generationen erspart bleiben. Zurzeit erstellt sie ein Nachschlagewerk für die von ihr erschlossenen Autobiografien. Und mit dem Preisgeld will Wedel eine Bibliothek von autobiografischen Frauenschriften einrichten.

„Frauen beschreiben sich in sozialen Beziehungen“, sagt Wedel. Dies ist wohl der größte Unterschied zu lebensgeschichtlichen Darstellungen von Männern. Während Letztere meist ihre Karriere beschreiben und „man denkt, die haben keine Familie gehabt“, erzählen die Frauen meist von Kindheits- und Familienerinnerungen. Die Autobiografien fungierten als Lebenshilfe. Das sieht Wedel durchaus kritisch: „Da wurde oft eine heile Welt dargestellt, die nicht das Bemühen förderte, kritisch zu denken.“ Geschrieben haben viele Lehrerinnen, Krankenschwestern, Sekretärinnen, ihr Blick galt oft den Männern an ihrer Seite. Auch schrieben sie oft „Erinnerungen an ...“ eben jene, die gesellschaftlich mehr Macht und Ansehen hatten. Das hatte auch ganz pragmatische Gründe: So war die Chance größer, einen Verleger zu finden.

Anders sind die Autobiografien von Schriftstellerinnen, Schauspielerinnen und Sängerinnen, die häufig am Ende der Karriere entstanden. Die Frauen, die es gewohnt waren, im Rampenlicht zu stehen, wollten vor allem unterhalten. Die Frauen haben sich hier weiter inszeniert, schmückten ihre Werke mit Rezensionen, Theaterzetteln und vielen Fotos.„Sie transportieren trotzdem sehr viel Wissen und ein Stück Zeitgeschichte.“

Ein ganz besonderes Interesse der leidenschaftlichen Historikerin gilt selbstbewussten Frauen wie Katharina Heinroth, die bis 1956 Zoodirektorin in Berlin war. Gemeinsam mit der SPD-Politikerin Luise Schröder und der Zirkusdirektorin Paula Busch bildete sie in den Fünfzigerjahren ein Netzwerk gegenseitiger Rückenstärkung.

Frauennetzwerken gilt auch heute Wedels Hauptinteresse. Denn Rückhalt bekommt die Historikerin meist von ihren Freundinnen – institutionelle Unterstützung für ihre Arbeit gab es dagegen kaum. Wedel finanzierte ihre Forschungsarbeit durch Tätigkeiten als Referendarin, in Bibliotheken, Archiven und Museen. Bei der Geldbeschaffung hat sie sich mit ihrem Partner abgewechselt.

Die eigene Biografie will die stets optimistische Wissenschaftlerin „vielleicht mal in einem Anfall von Übermut schreiben“. Sie ist, wie viele ihrer Autorinnen, eher verschlungene Pfade gegangen, hat keinen gradlinigen Lebensweg. Ihre Zielstrebigkeit gilt den Inhalten. „Und das Schöne ist: Nun werde ich heute für meine Lücken im Lebenslauf geehrt.“

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