in fußballland: CHRISTOPH BIERMANN über das Böse im Fußball
Die Jünger des Loontiens
Die Bemerkung im Spielbericht einer Tageszeitung, dass Franklin Bitencourt von Energie Cottbus theatralisch zu Boden sank und daraufhin Peter Wibran von Hansa Rostock völlig zu Unrecht vom Platz gestellt wurde, glaubte ich auch, ohne die Szene gesehen zu haben. Sofort musste ich an Peter Loontiens denken und würde hier gerne mit der gewagten Bemerkung reüssieren, dass mit ihm das Böse in die Welt gekommen ist. Allerdings stimmt das nicht, denn dort ist es schon länger – seit dem 16. Mai 1973.
Damals saß ich gemeinsam mit meinem Vater vor dem Fernseher und wir schauten dabei zu, wie der AC Mailand das Europapokalfinale der Cupsieger mit 1:0 gegen Leeds United gewann. Das Spiel waren ein neunzigminütiger Blick in die Abgründe des Fußballs, in denen es allein um den Sieg geht und alle Mittel auf dem Weg dorthin gerechtfertigt scheinen. Die Italiener waren einerseits darauf bedacht, die Kombinationen der Gegner zu zerstören und verbrachten ansonsten einen überwiegenden Teil der Zeit damit, sich auf dem Rasen herumzuwälzen und Verletzungen zu simulieren, die ihrer Gestik zufolge nur von Autocrashs und Flugzeugabstürzen herrühren konnten. Es war widerlich, aber unsere Proteste verhallten ungehört im Wohnzimmer, und Milan wurde für diesen Zynismus auch noch mit dem Titel belohnt.
Dass diese Art von Schauspielerei in der Folge keine italienische Angelegenheit blieb und die Schwalben auf der Suche nach dem Pfiff des getäuschten Schiedsrichters in wachsender Zahl auch durch deutsche Strafräume segelten, ist eine gerne diskutierte Entwicklung, bei der Peter Loontiens eine zu wenig beachtete Zwischenetappe markiert. Dieser heute längst vergessene Profi verdiente zwischen 1983 und 1986 drei Spielzeiten lang sein Geld beim damaligen Bundesligisten Bayer Uerdingen, wo er durchaus regelmäßig zum Einsatz kam, nachdem er es zuvor in Mönchengladbach nicht zum Stammspieler geschafft hatte. Loontiens, der insgesamt 73 Bundesligaspiele bestritt – 7 für Gladbach, 66 für Uerdingen – entsprach vom Äußeren her in etwa dem Leverkusener Carsten Ramelow, war also ein hellhäutiger Blonder, trug aber der damaligen Mode folgend einen Oberlippenbart.
Die wesentliche Qualität des blassen und offensichtlich sehr leichten Stürmers bestand darin, sich bei jeder Gelegenheit den Kräften der Erdanziehung hinzugeben. Er war, um es schonungslos offen zu sagen, ein Spezialist im Schinden von Freistößen und Elfmetern, dessen notorische Fallsucht damals nicht so auffiel, weil noch nicht allerorten und stets Überwachungskameras am Spielfeldrand standen. Trotzdem hat sich der Name Loontiens nicht nur in meiner, sondern auch in der Erinnerung meines Freundes Kurt tief eingebrannt, die wir, obwohl Anhänger unterschiedlicher Vereine, Opfer Loontiens’schen Hinsegelns geworden waren, infolge derer wir frustriert aus der sowieso schon deprimierenden Grotenburg-Kampfbahn in Krefeld nach Hause ziehen mussten.
In unseren Reihen hätten wir ihn aber auch nicht haben mögen, denn selbst die größte Verblendung sorgt nicht dafür, dass Anhänger von Fußballklubs auf solche Weise zum Erfolg kommen wollen. Einen unberechtigten Strafstoß nimmt man gerne mal mit oder eine irregeleitete Dezimierung des Gegners. Aber mit System betrieben, nein, da funktioniert ein archaisches Gefühl für Fair Play. Außerdem, um es nicht zu moralisch werden zu lassen, gleicht sich doch alles aus, und am Ende fällt das Böse wieder auf einen zurück. Oder wo ist Uerdingen eigentlich geblieben, und Milan musste zwischendurch auch in der zweiten Liga Buße tun.
Kurt kann sich noch heute daran erinnern, „dass Loontiens so dünne Haare hatte und so hektisch war“, denn solche vergisst man nicht, wie bei mir heute Blutdruck, Pulsschlag und Adrenalinausschüttung prompt steigen, wenn Franklin Bitencourt durchs Bild huscht. Denn der Brasilianer hat inzwischen seine Karriere offensichtlich ganz in den Dienst von Schwalben, Provokationen der Gegner und Aufwieglung des Publikums gestellt. Doch die Strafe wird kommen, der Fußballgott sieht alles.
Autorenhinweis:Christoph Biermann, 39, liebt den Fußball und schreibt darüber
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