: Pumpguns statt pumpende Beats
Zuerst brachte der Underground das Lebensgefühl der Clubs auf die Leinwand. Inzwischen versucht auch der Mainstram, auf den Technozug aufzuspringen. Doch in den neueren Clubfilmen wird die Szene zum Klischee und die Musik zum Accessoire. Lässt sich Techno einfach nicht erzählen?
von ANNETTE KILZER
Wenn Techno auf die Leinwand zieht, gibt es Vorwürfe, von denen man nie gedacht hätte, sie könnten einer sein. Zum Beispiel der: Zu viel Glamour! Doch wenn’s um Authentizität geht, versteht die auf Fun, Fun, Fun eingeschworene Club-Community plötzlich keinen Spaß mehr. Kein Wunder, da müssen Kölner Bushäuschen in „Fandango“ für Berliner BVG-Haltestellen herhalten, da muss der Kölsche „Alte Wartesaal“ einen Hauptstadt-Underground-Club mimen, oder zu stark aufgebrezelte Statistinnen sorgen angestrengt für Stimmung. „In Technofilmen gehen aufgestylte Weiber ab wie Sau, dabei war es meist so, dass sich 50 Spanner um ein Silberröckchen scharten“, weiß Jürgen Laarmann, Technophilosoph und Chronist der Szene.
So viel Techno war im Kino jedenfalls noch nie. Innerhalb weniger Wochen chillten wir mit „Kevin und Perry“ in Ibiza, erfuhren wir durch den amerikanischen Raverfilm „Groove“, wie kuschelig es bei Warehouse Parties in San Francisco zugeht, tanzten wir „Fandango“ mit Nicolette Krebitz und Moritz Bleibtreu und kommen nun dank „Sorted“ (ab heute im Kino) auch ohne langes Schlangestehen und 15 Pfund Eintritt in quasi zwei Mütter der Londoner Club- und Barszene, ins Ministry of Sound und Café de Paris. Dass sich dabei bislang kein einziger Clubfilm als der erhoffte Kulthit und/oder Kassenschlager entpuppt hat, stoppt die Euphorie der Branche nicht, im Gegenteil: Mit Klaus Knoesels Technoversion von „Macbeth“, Roman Kuhns „Love, Peace and Pancake“ und Christoph Starcks „Julietta“ versuchen sich gerade allein drei deutsche Regisseure am visuellen Pendant zu Love, Peace and Unity, Wodka-Red-Bull, Koks und Ecstasy.
Für die Bürohengste aus der Produktionsetage scheint die Rechnung betriebswirtschaftlich todsicher: Wenn sich zeitweise über eine Million Menschen, vornehmlich aus der werbe- und kinorelevanten Zielgruppe von 14 bis 29 Jahren, auf der Berliner Love Parade tummeln, dann muss sich doch auch mit Club- und Lifestyle-Filmen prima Kasse machen lassen. Für den Raver sieht die Rechnung allerdings ganz anders aus: Warum soll er ins Kino gehen, wenn er zur selben Zeit und fürs selbe Geld the real thing kriegen kann? Da müssen schon wirklich gute Argumente her, und ausgerechnet die Musik lockt niemanden in einen Technofilm.
Dass ein Chartstürmer wie BT den Soundtrack zu Doug Limans „Go“ beigesteuert hat, dass Matthew Herbert und Rob Mellow den Score für den britischen „Human Traffic“ verantworten und Pete Tong dabei als Music Supervisor fungierte – das interessiert in einer Szene, die limitierten 12“-Remixen oder obskuren KLF-White-Labels nachjagt, so was von niemanden. Dass Star-DJs wie John Digweed (in „Groove“) oder Carl Cox (in „Human Traffic“) mitspielen, who cares? Auch, weil die Techno- oder House-Szene dazu zu heterogen und fast schon sektiererisch ist.
So wenig wie ein Drum-’n’-Bass-Fan sich jemals auf einen Goa-Rave verirrt, lockt der Fetisch-und-Meister-Soundtrack von „Fandango“ einen überzeugten Detroit-Techno-Hipster ins Kino. Einen Film erlebt natürlich irgendwie immer jeder für sich. Für House aber gilt, was Diedrich Diederichsen einmal über Pop formuliert hat: „Pop kennt im Prinzip nur eine Richtung: von der absoluten Ausgeschlossenheit des Einzelnen zur utopischen Eingeschlossenheit aller.“
Vor allem aber verheißt Clubbing Ekstase. Zum einen durchs Tanzen und die durch den Körper selbst erzeugte Euphorie, in der der Mensch sich als göttlich oder „visionäres, halluzinatorisches Kollektiv“ (Norbert Bolz, David Bosshard) erlebt – nicht umsonst werden in der Reflektion des Phänomens Techno so gerne ethnologische Termini („Stämme“, „tribal gathering“) oder der gute alte Cholera Lasciva (Veitstanz) bemüht – etwas, das man im Kinosessel dann doch eher selten erlebt.
Ekstase versprechen zum anderen, da muss man sich ja nix vormachen, die Drogen. Kein Technofilm daher auch ohne illegale Suchtmittel, wobei die Darstellung des Dealers dann oft ins affirmativ Karikaturistische abrutscht. Etwa wenn eine kahl geschorene Corinna Harfouch in „Fandango“ die libidinöse Lesbe im langen Latexkleid mimt oder der sinistre Tim Curry in Alexander Jovys „Sorted“ Shakespeare rezitiert. Selbst in einem Film wie dem holländischen „Naar de Klote“ („Wasted“), der aus seiner Faszination für Magic Mushrooms und ein gutes E gar kein Geheimnis macht, kommt der Pillenverkäufer als ekliges Machoschwein daher. Dagegen scheint Dani Levy als verschmitzter Yuppie-Dealer in Stefan Ruzowitzkys „Tempo“ fast schon niedlich.
Dass sich das wilde, hedonistische Clubleben in „Fandango“ für die meisten Beteiligten ganz linientreu-pädagogisch als tödliche Illusion entpuppt, hielt die FSK nicht davon ab, dem Film eine Altersfreigabe erst ab 16 Jahren zu geben – auch das nicht eben eine verkaufsfördernde Maßnahme. Aber will man überhaupt anderen in Großaufnahme dabei zugucken, wie sie Drogen nehmen? Meistens kein sehr interessanter Anblick, so wenig wie die depressive Post-Drogen-Verpeiltheit von Nicolette Krebitz ein Argument dafür liefern kann, damit aufzuhören.
Ja, aber, hält jetzt der gewiefte Produzent natürlich dagegen, bei „Trainspotting“ hat das ja auch funktioniert, da ist ein Musik- und Drogenfilm zum Kult für eine ganze Generation geworden. Was die Branche mit ihrer unerbittlichen Konsequenz des Nachahmens gleich zum Anlass nahm, den T-Faktor systematisch zu erhören: Wer Techno mag, der goutiert sicherlich auch Thriller. Also werden in Technofilmen nun Pumpguns für wichtiger erachtet als pumpende Beats. Am authentischsten sind Lifestylefilme aber dann, wenn sie weder Tarantino noch „Trainspotting“ kopieren, sondern vom Lebensstil der Raver oder Großstadt-Nighthawks erzählen.
Etwa Rolf Peter Kahls „Angel Express“ oder „Human Traffic“ von Justin Kerrigan. „Angel Express“ ist ein Patchwork der Eitelkeiten, das vom Leben auf der Überholspur berichtet. Seine Protagonisten sind immer in Bewegung, aber nie am Ziel: Drifter zwischen Underground und Karriere, Koks und Medienhype, Club-Wear und Business-Kostümchen. Nie zufrieden mit dem kleinen Glück, immer auf der Suche nach der großen Liebe, stets auf der Jagd nach der Riesenkohle, dem ultimativen Kick. „Filme, die wirklich nah dran sind am Zeitgeist, scheitern am Lehrbuchprinzip des Drehbuchschreibens“, meint Kahl. „Plot Point 1, Plot Point 2 – das funktioniert hier nicht. Außerdem darf man sich nicht ausschließen und zu seinen Figuren auf Distanz gehen, nur weil sie freakig, exzentrisch und kalt sind.“ Der britische Skandalfilm, weil im Drogenspaß schwelgende, „Human Traffic“ erzählt ebenso konsequent wie witzig von einem einzigen Club-Weekend einer Clique von Clubbern in der Provinzstadt Cardiff. Sein US-Pendant „Groove“ konzentriert sich sogar nur auf eine einzige Nacht.
Inszenatorisch tut es manchmal zwar richtig weh, festzustellen, dass sich an der visuellen Umsetzung des Techno-Prinzips nicht viel geändert hat seit Bernard Morales’ „ProGen“-Video für The Shamen von 1990: wild zuckende Tänzer, die ihre Arme im Gewitter der Stroboskop-Flashs enthemmt und ekstatisch in die Luft werfen, dazwischen Nahaufnahmen des herumwirbelnden DJs, Kopfüber-Schuss auf sich drehendes Vinyl – und sonst nischte.
Ian Kerkhof trieb vor ein paar Jahren mit „Naar de Klote“ die ästhetische Radikalisierung des House-Hedonismus bislang am weitesten. Dass ihm dabei eine Art „Kunstseidenes Mädchen“ für die 90er gelungen ist, dankte ihm die Technofront indes wenig. Denn neben Authentizität zählt für sie Credibility, und die fehlte Kerkhof, der zuvor mit provokanten Filmen über Kotz- und Pinkelsex und einem Kinderfilm über Fußfetischismus brillierte, nun mal.
Dass es mit den Techno- und Clubfilmen nicht so recht klappen will, liegt aber auch an den langwierigen, behäbigen Produktionsbedingungen des Mediums. Techno findet durchaus seine Umsetzung in der bildenden Kunst und Kultur mit einer eigenen Visual Art, allerdings in schnell und individuell zu realisierenden Projekten wie Flyern, Fotos und Zeitschriftenlayout, Musik-Clips, Werbespots und Videokunst (nicht von ungefähr schaffte es Clip-Regisseur Chris Cunningham bis in die „Apocalypse“-Ausstellung der Londoner Royal Academy). Doch noch vor Produktion, Rezeption und Stil ist das größte Handicap der Clubfilme die mangelnde Narration. Techno an sich ist keine Erzählung. Wo der Rock ’n’ Roll pathetisch Rebellion und das Leben als Outsider zelebriert, fehlt Techno der Inhalt. Anders als HipHop kann er nicht mal vom Ghetto- und Gangsta-Mythos zehren. Schließlich wurden seine wichtigsten Labels von schwarzen Mittelstandkids, weißen Vorort-Kanadiern, Londoner Soundfricklern und Berliner Künstlersöhnen gegründet.
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