Aus. Vorbei. Ende.

von DOROTHEE CHLUMSKY

Die „Hitparade“ ist tot. Zum letzten Mal läuft heute die Schlagershow, deren Glanz schon lange verblasst ist. Mitarbeiter und Fans trauern trotzdem. Ein Besuch

Das war’s. Nach 360 Sendungen haucht die ZDF-Hitparade ihr Leben aus. Und lebendig war sie, nicht nur in der Hochzeit des deutschen Schlagers.

Wer am Hitparadensamstag zwischen Generalprobe und Sendung das Casino besucht, die Kantine auf dem Gelände der Berliner Union-Filmstudios, kann die Abgesänge auf den Niedergang des deutschen Schlagers nicht nachvollziehen. Auch zur vorletzten Sendung am 11. November ist der Saal überfüllt. Fans belagern die Tische der Künstler, die sich mit Engelsgeduld umarmen und fotografieren lassen, sich Geschichten anhören und Autogramme geben. „Unsere Künstler sind Stars zum Anfassen“, sagt Dirk Quaschnowitz, Redakteur der Sendung. Und die Künstler leben danach. Sie nehmen ihre Fans ernst. Sie müssen. So ist das Geschäft.

Eine Zuschauerin ärgert sich über die Schlange an der Casinotheke. „Dabei ist das hier immer so, das sollten die doch langsam wissen.“ Sie ist mit ihrer Enkelin hier, der gefällt die Musik so gut. Und ihr selbst? „Nicht alles, aber doch, vieles schon.“ Auch die Antonia aus Tirol mag sie, die sei „so frisch und lustig“.

Antonia ist die weibliche Antwort auf DJ Ötzi alias Anton aus Tirol und singt Sätze wie: „Meine Superpampelmusen sind der Gipfel in der Blus’n“. Was in der wirklichen Welt jede halbwegs emanzipierte Frau der Tobsucht nahe bringt, soll hier nicht bedenklich sein. Die Hitparade tickt anders. Hier ist die Welt der – mittlerweile nur noch bestenfalls drittklassigen – Stars, der kleinen Träume und der Glanzlichter in den Augen. Und ein bisschen Spaß soll auch dabei sein. Antonia heißt eigentlich Sandra und ist zwanzig. Mit ihren zwei Tänzern ist sie zum ersten Mal bei der Hitparade dabei. Ihr ist es wichtig, überhaupt im Fernsehen auftreten zu können. Mit der Hitparade selber verbindet sie nicht viel. Dazu ist sie zu jung.

Wie muss das gewesen sein damals? Samstagabends fand sich die Familie zusammen, um gemeinsam der Schlagersendung beizuwohnen. Nach dem Bade Hitparade. Die Schlagermusik wird auch heute noch ihrer Idee gerecht, Menschen jedes Alters anzusprechen. Im ZDF-Team, das die Hitparade produziert, sind nur wenige älter als vierzig. Privat hören sie andere Musik. Hier wird gearbeitet. Und dennoch wippt bei der Probe gelegentlich ein Bein im Takt. Wie aus Versehen. Hinter den Kulissen werden zwischen Redaktion, Aufnahmeleitung und Garderobe Wetten abgeschlossen, wer diesmal das Rennen macht.

Bei der Stellprobe Freitagnachmittag werden einige Künstler gedoubelt, weil sie gerade bei einer Gala auftreten. Da steht die Regieassistentin anstelle von Nicole auf der Bühne und blickt in die Ferne. Hält sich an ihrer Produktionsmappe fest und wiegt sich, kaum merklich, zu Ich hab Dich noch lieb. Der Ernst der Situation passt nicht zur demonstrativ guten Laune Uwe Hübners, der zuvor mit leichtgewichtigen Sprüchen die Probe aufzulockern versucht hatte. Ein Hauch von Wehmut steht im Raum.

Doch trotz des bevorstehenden Aus wird über Nostalgie kaum gesprochen. Alle arbeiten gern hier, auch jetzt noch, vor allem wegen der familiären Atmosphäre, die trotz (oder wahrscheinlich wegen) der schwierigen Bedingungen herrscht, unter denen produziert wird. Das Studio ist klein, ein langer Schlauch, an der engsten Stelle kommt eine Kamera gerade noch durch. Jeder achtet darauf, wo er oder sie steht, um nicht im Bild aufzutauchen. Zwei Männer sind fast ausschließlich damit beschäftigt, frisches Eis heranzuschaffen, damit der Nebel nicht ausgeht, der den Künstlern um die Füße wabert und den Boden rutschig macht. Die technischen Anforderungen der Live-Sendung erzeugen ein hochkonzentriertes Arbeitsklima. Damit bei der Sendung alles klappt, müssen bis zum Kabelträger alle Hand in Hand arbeiten. Für das Team liegt vor allem hier der Grund, um die Schlagershow zu trauern. „Bei der Hitparade hast du in technisch immer wieder neue Aufgaben zu lösen gehabt“, sagt ZDF-Kameramann Manfred Schepsdat, der von Anfang an dabei ist.

Ebenfalls seit der ersten Hitparade 1969 dabei ist Heinz Nickel, der Pförtner. Er merkt sich die Gesichter aller, die an der Produktion beteiligt sind, und lässt außer ihnen niemanden ins Gebäude. Bei Generalprobe und Sendung reißt er die Karten ab. Heinz hat ein paar Fotos zur Hand, die seine Verwachsenheit mit der Hitparade dokumentieren. Da ist zu sehen, wie er zum achtzigsten Geburtstag live in der Sendung eine Hitparaden-Statuette mit seinem eingravierten Namen geschenkt bekam.

Man sorgt eben füreinander bei der Hitparade. Heinz Nickel ist mit Fans und Stars per Du und er macht keine Unterschiede. Als der Schlagersänger G.G. Anderson zur Probe vorfährt, winkt Heinz den Fahrer ein. Anderson steigt aus, die beiden umarmen sich. Heinz bekommt feuchte Augen, wenn er von seiner Arbeit erzählt und dabei klar ist, dass er zum vorletzten Mal an dieser Tür steht.

Und die Fans? Sie hoffen darauf, dass es im Fernsehen eine Zukunft gibt für den deutschen Schlager. Zur vorletzten Sendung der Hitparade erschien eine Gruppe junger Fans mit Plakaten, auf die sie „Die Hitparade muss weitergehen“ und „Hitparaden-Mörder“ geschrieben hatten. Nach einigen taktischen Überlegungen ließ man die Fans ein, die Plakate mussten draußen bleiben. Den Fans ist es ernst mit der Hitparade. Hübner verspricht, zunächst mit zwei Galas, die für 2001 im ZDF geplant sind, für den Fortbestand des Schlagers zu sorgen. Zudem startet im März 2001 die ZDF-Hitparade on Tour in der Halle Münsterland. Der deutsche Schlager wird weiterleben. Irgendwie, irgendwo.

DOROTHEE CHLUMSKY, 25, ist Redakteurin der „Macwelt“ und lebt in München