piwik no script img

Selbstmord in der Abschiebehaft

Junger Tamile sollte abgeschoben werden, obwohl ihn ein deutscher Staatsbürger adoptieren wollte. Nach Verzweiflungstat in Hannover erhebt der Flüchtlingsrat Vorwürfe gegen niedersächsische Behörden. Ministerium spricht von „alltäglichem Fall“

aus Hannover JÜRGEN VOGES

Nach dem Selbstmord eines 17-jährigen tamilischen Flüchtlings in der Abschiebehaftanstalt Hannover-Langenhagen hat der niedersächsische Flüchtlingsrat gestern schwere Vorwürfe gegen die Ausländerbehörden erhoben. „Der Flüchtling Arumugasamany Subramaniam hätte nach einem bindenden Erlass des niedersächsischen Innenministeriums nicht in Abschiebungshaft genommen werden dürfen“, sagte der Geschäftsführer des Flüchtlingsrates Kai Weber. Die zuständige Ausländerbehörde in Osnabrück habe sich „an dem jungen Mann schuldig gemacht“.

Der Flüchtling, der fünf Jahre in Deutschland lebte, war vergangene Woche im Ausländeramt Osnabrück festgenommen worden, als er dort um eine weitere Duldung nachsuchte. Zwei Tage später, am Freitag, erhängte er sich in der Abschiebehaftanstalt an seinen Schnürsenkeln.

Der 17-Jährige, dessen Asylfolgeverfahren noch nicht abgeschlossen war, sollte nach Angaben von Weber von seinem in Arnsberg lebenden Onkel, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, adoptiert werden. Der Flüchtling habe seit drei Jahren mit Wissen der Ausländerbehörde bei dem Onkel gelebt und habe durch den Besuch auf dem Ausländeramt eine Duldung bis zum Abschluss des Adoptionsverfahrens erreichen wollen. Die Behörde habe jedoch die Polizei geholt und trotz der Zusicherung des 17-Jährigen, er werde notfalls die Bundesrepublik freiwillig verlassen, auf so genannter Sicherungshaft bestanden, sagte Weber. Laut dem seit fünf Jahren in Niedersachsen gültigen Erlass müsse aber „von der Anordnung von Abschiebehaft abgesehen werden“, wenn ein Ausländer glaubhaft mache, „sich einer Abschiebung nicht entziehen“ zu wollen. Durch sein persönliches Erscheinen auf dem Amt habe der 17-Jährige dokumentiert, dass er sich „gerade nicht dem Zugriff der Behörden entziehen wollte“, sagte Weber. Dem Innenministerium in Hannover warf er vor, nicht über die Befolgung des Erlasses zu wachen.

Die zuständige Referentin des Ministeriums, Helga Haunschild, verteidigte dagegen gestern die Anordnung der Abschiebehaft. Der Flüchtling sei bereits einmal untergetaucht und außerdem „mindestens 19 Jahre alt“. Dies habe ein Gutachten ergeben. Es habe „sich um einen ganz alltäglichen Fall gehandelt, an dem nichts Besonderes war“, betonte Haunschild: „Die Reaktion auf die Inhaftierung hat man nicht vorhersehen können.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen