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Wenigstens tragikomisch

■ Michael Talke inszeniert „Das Kind“ von Jon Fosse

Fredrik: „Sollen wir reingehen?“ Agnes: „Reingehen.“ Fredrik: „Könnten wir.“ In solch kargen Wortfetzen entwickeln sich die Dialoge des norwegischen Autors Jon Fosse. Mit Spannung war die deutsche Erstaufführung von Das Kind durch Michael Talke im Thalia in der Gaußstraße erwartet worden. Doch einen Text des Dramatikers auf die Bühne zu bringen, ist nicht so einfach. Der besteht fast nur aus Leerstellen, die auszufüllen dem Regisseur meist nur die absolute Stille bleibt oder ein paar Bli-cke, die das Bühnenpersonal sich zuwirft. Fosse führt seine Personen als exemplarische Gattungsvertreter vor. Die haben nichts Dämonisches an sich, wie bei Ibsen, mit dem Fosse häufig verglichen wird, sondern sind einfach dunkel und eigentümlich leer.

Es beginnt an einer Haltestelle. Siggi Colpe hat sie als weiß gekalkten Kellergang gekennzeichnet. Fredrik und Agnes begegnen sich dort. Fortan plagen sie sich zu zweit mit ihrer existentiellen Grundangst. Gemeinsam betreten sie „eine Kirche“, markiert durch das Schild „Notausgang“; wenig später ist sie schwanger.

Ebenfalls an der Halte hängt noch Agnes' Exfreund ab, der seine Sehnsucht mit dem Sammeln leerer Flaschen kompensiert –um darauf das Paar durchs Fenster zu beobachten. Auf der anderen Seite der Bühne hat sich das junge Paar mittlerweile bürgerlich niedergelassen. Dann schlägt die Traurigkeit in Tragikomik um. Agnes' Mutter Evelyn verteilt gelbe Tulpen und kitschige Kerzenleuchter. Kommunikation findet nicht statt. Der Eindruck von Absurdität verstärkt sich auch, als Agnes im Krankenhaus landet und ihr Kind verliert. Von der Rauchersucht fabuliert da das Krankenhauspersonal. Die Szene walzt Fosse bis zur Unerträglichkeit aus. Leider folgt ihm Talke darin. Die Schlussszene fällt dann arg knapp aus. Fredrik und Agnes finden sich wieder vor der Tür, auch Arvid sitzt wieder da.

Die Sehnsucht der Figuren lässt auch die des Autors nach einem einem Notausgang in dieser Welt durchschimmern. Fosse findet die postmodernen Dekonstruktionen langweilig. Etwas Einfaches zu sagen, gilt ihm als Kunst. Und er will eine tiefere Bedeutung transportieren. Die war nicht immer herauszulesen in dieser Inszenierung des minimalistischen Beziehungsgeflechts. Annette Stiekele

22.12., 5. + 6.1., 20 Uhr, Thalia in der Gaußstraße

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