: Tube wird doch nicht privatisiert
Labour-Regierung gibt gegenüber Bürgermeister Livingstone nach: Die Londoner U-Bahn bleibt in öffentlicher Hand. Bericht hatte Effizienz der Privatisierung bezweifelt. Endgültige Entscheidung vermutlich erst nach Parlamentswahlen im Mai
aus London RALF SOTSCHECK
Die britische Regierung hat einen überraschenden Rückzug angetreten: Die Londoner U-Bahn wird nun doch nicht privatisiert. Die Zukunft der maroden Untergrundbahn war im Frühjahr das wichtigste Thema im Wahlkampf um das Bürgermeisteramt. Ken Livingstone, der nach seinem Hinauswurf aus der Labour Party die Wahl als Parteiloser gewann, hatte sich von Anfang an gegen eine Privatisierung ausgesprochen, während die Regierung die U-Bahn nach Vorbild der britischen Eisenbahn in vier Teilbereiche aufspalten wollte.
Livingstone warnte, dass die Sicherheit dann nicht mehr gewährleistet sei. In Anbetracht des Chaos, das bei der Eisenbahn herrscht, wo Kurzstrecken zu Tagesreisen geworden sind, weil niemand in die Wartung des Schienennetzes investiert hatte, weiß Livingstone die Bevölkerung auf seiner Seite. Hinzu kommt ein Bericht der parlamentarischen Finanzaufsichtsbehörde vom Freitag, in dem angezweifelt wird, dass die Regierungspläne die U-Bahn „billiger, sicherer und flexibler“ machen würden.
Für New Labour geht es nun darum, das Gesicht zu wahren. Livingstone ist das wandelnde Symbol für Blairs schmerzhafteste Niederlage seit seinem Amtsantritt im Mai 1997. Der „rote Ken“ vom linken Labour-Flügel hatte sich für die Labour-Nominierung beworben, scheiterte aber aufgrund von offensichtlicher Wahlmanipulation, die von Blair durchgesetzt worden war. Nachdem Livingstone entschieden hatte, als unabhängiger Kandidat anzutreten, warf ihn die Labour Party hinaus und prophezeite in einer bösartigen Kampagne den Untergang Londons im Falle seines Wahlsiegs. Es half alles nichts, Livingstone gewann die Wahl mit riesigem Vorsprung.
Nachdem er ins Rathaus eingezogen war, holte Livingstone den US-Amerikaner Robert Kiley, um das älteste U-Bahn-Netz der Welt vor dem Verfall zu retten. In New York hatte Kiley dafür sieben Jahre gebraucht. Dort war er auf Konfrontationskurs mit den Gewerkschaften gegangen und hatte außerdem „Nulltoleranz“ gegenüber Schwarzfahrern und Graffiti-Malern eingeführt: Sie kamen ins Gefängnis. Über die U-Bahn-Pläne der britischen Regierung sagte Kiley, sie seien „grundlegend und verhängnisvoll falsch“. Das Management der gesamten U-Bahn müsse in einer Hand bleiben, andernfalls sei die Sicherheit bei einem 90-Sekunden-Takt der Züge in Gefahr.
Der 65-jährige Kiley hat eine Geheimdienstkarriere hinter sich: Er trat 1963 in die CIA ein und arbeitete eine Weile als Auslandsspion in 87 Ländern. Später wurde er Assistent des CIA-Direktors Richard Helms, der ständig neue Pläne entwickelte, um Fidel Castro umzubringen. Kurz darauf trat Kiley aus der CIA aus, weil die Organisation „immer mehr politisch umstritten“ war. Im selben Jahr kamen seine Frau und seine beiden Kinder bei einem Autounfall in der Bronx ums Leben.
Natürlich wissen auch Kiley und Livingstone, dass sie ihren Sieg in Sachen U-Bahn nicht lauthals auskosten dürfen, wollen sie die Regierung nicht brüskieren. Livingstone hofft nämlich immer noch, alsbald in die Labour Party zurückkehren zu können. So zeigte er sich kompromissbereit: Ein bisschen Privatisierung sei akzeptabel. Die benötigten zehn Milliarden Pfund sollen zum Teil durch Staatsanleihen aufgebracht werden, die nicht vom Finanzministerium, sondern durch den Fahrkartenverkauf abgesichert sind.
Die endgültige Entscheidung über die Zukunft der U-Bahn hat die Regierung vorsichtshalber um ein paar Monate verschoben, damit ihr das Thema nicht im Wahlkampf für die im Mai erwarteten Parlamentswahlen in die Quere kommt.
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