: Mit Bob Dylan den Sommer verdösen
Jenseits der Bollywood-Schinken gibt es in Indien auch ein unabhängiges Kino, das im Westen kaum bekannt ist. Das Festival „Indische Filmkunst“ im Arsenal zeigt bis Ende des Jahres die kulturellen Patchworks des New Indian Cinema
Dass Indien die größte Filmindustrie der Welt hat, weiß man inzwischen, auch wenn diese Filme hier selten gezeigt werden. Neben den ellenlangen operettenhaften Werken aus Bollywood gibt es aber auch ein unabhängiges indisches Kino, mit dem ein Festival unter dem angenehm schlichten Titel „Indische Filmkunst“ noch bis zum 31. Dezember bekannt machen möchte. Zu sehen sind insgesamt zehn Filme, die zwischen 1938 und 1994 gedreht wurden und in zehn deutschen Städten gezeigt werden.
Anders als in Hollywood sind die Grenzen zwischen dem kommerziellen Bollywoodkino und dem eher künstlerisch orientierten „New Cinema“ kaum durchlässig. „Der Unterschied zwischen Kunstkino und Kommerzkino ist in Indien einfach der Unterschied zwischen gutem und schlechtem Kino – zwischen ernsthaften Filmen und degenerierter ‚Unterhaltung‘“, schreibt etwa der indische Filmwissenschaftler Chidananda Das Gupta.
Der unabhängige indische Film ist ein Patchwork unterschiedlichster kultureller Einflüsse, die für Laien manchmal schwer zu benennen sind. Wäre „English August“ von Dev Benegal (29. Dezember, 19 Uhr) etwa ein europäischer Film, würde man ihn vermutlich kafkaesk nennen, wenn das nicht verboten wäre.
Der 1994 gedrehte Film erzählt von Agyasta, einem jungen Mann aus der indischen englischsprachigen Elite, der fern in der Provinz als Beamter seinen Staatsdienst antritt. Agyasta bzw. August, dessen Name zu allerlei Scherzen Anlass gibt, ist Fan von Bob Dylan, Queen und Pink Floyd, liegt manchmal nachts in der Hitze in seinem runtergekommenen Zimmer, fühlt sich oft einsam, onaniert kiffend, mahnt sich in seinem Tagebuch: „Ab heute keine Masturbation mehr!“, und joggt dann stattdessen nachts, wenn’s kühler ist, durch die Gegend. Er ist konfrontiert mit schläfriger Korruption, diffusen Angestellten, uralten Akten und Landkarten, trifft auf Arme und Reiche und gewöhnt sich nur langsam an die Schläfrigkeit seiner Dienststelle. Später wird er in ein von Rebellen kontrolliertes Gebiet versetzt, in dem ein ähnlich verwestlichter Staatsbeamter umgebracht worden war, und schreibt gleichzeitig noch an einem Roman.
Der Film, der durchgängig aus der Ich-Perspektive seines Helden erzählt wird, ist auch dann noch großartig, wenn man in Rechnung stellt, dass man einen Film, der in indischer Hitze spielt, im Winter natürlich besonders toll findet. Wie schön sind die Zugfahrten durch eine fremde Welt! Wie schön sind die blauen Wände von Agyastas Zimmer in einer schläfrigen Hitze, die so überwältigend ist, dass die Vögel vom Himmel fallen und im Amt zynisch gewordene Staatsbeamte am Schreibtisch zurückgelehnt unter einem nassen Tuch dösen. Hin und wieder werfen sie elegant die Akten auf den Boden, während die vielen Bittsteller höflich auf die Ablehnung ihrer Anliegen warten. In ein paar Wochen wird man möglicherweise einen Laster mit Wasser in das Dorf schicken oder auch nicht. DETLEF KUHLBRODT
Festival Indische Filmkunst, bis zum 31. Dezember im Kino Arsenal, Potsdamer Straße 2
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen