: Im Varieté zur Weltrevolution
Wahre Lokale (50): die PDS-Versorgungseinrichtung „Pirarbo“ in Berlin-Mitte
Von der Restauration in der CDU-Zentrale erwarte ich mir altdeutsche Küche und einige pastamäßige Anbiederungen – und jede Menge Grünpflanzen. Im Willy- Brandt-Haus rechne ich mit dem allergemeinsten Mainstream: blank gewichste Tische mit der obligaten Kerze – und Blattpflanzen. Wie kommt es, dass ich beim Betreten der Versorgungseinrichtung im PDS-Stabsquartier am Rosa-Luxemburg-Platz hoffte (oder fürchtete), der Odem der Weltrevolution könnte mich bespringen: Rotwein portugiesischer Winzerkooperativen, Kaffee aus Nicaragua, Zigarren aus Kuba, ein Samowar mit rotem Stern und als Solidargabe Pelmeni von der kommunistischen Parteizelle in Nishni Nowgorod? Und in der Ecke auf dem Haken eine olle Mütze, von der man mutmaßt, Ché Guevara habe sie hier vergessen! Natürlich Quatsch – die PDS ist ja eine Partei, die konsequent Erwartungen nicht erfüllt. Ihr gehört das Lokal auch gar nicht, insofern ist sie fein raus. „Outsourcing“ nennt man das, wenn man im Kapitalismus potenziell profitable Bereiche an Gschaftelhuber vergibt, um von allen schmutzigen Geschäften rein zu bleiben.
Das Lokal heißt „Pirarbo“, könnte aber auch „Stumpfe Ecke“ heißen. Sein Logo ist eine ordinäre Möse, die aber bestimmt keine Möse sein soll, sondern irgendwas Transzendentes. Wenn ich richtig mitgezählt habe, ist der jetzige Betreiber der zehnte, seitdem die Gewerbefreiheit auch an diese Ecke kam. Man muss seinen Mut bewundern. Und seine Einfallslosigkeit verfluchen.
Ich war dreimal dort. Immer Punkt 15 Uhr, wenn das Institut öffnen sollte. Beim ersten Mal fand ich den Wirt schnarchend im Windfang vor der verschlossenen Kneipentür. Beim zweiten Mal fragte er, ob ich mich nicht irre. Und beim dritten Mal musste ich mir den Zugang zum „Pirarbo“ über den Wachschutzmann der Parteizentrale erkämpfen.
Gleich beim ersten Mal sagte mir der Wirt unaufgefordert, dass er „von den Genossen“ geschnitten würde. Ich nickte viel sagend, denn man hört ja so viel Böses von den Genossen. Allerdings wurde der Wirt augenblicklich Lügen gestraft, denn Dr. Dieter Dehm betrat den Saal, um hier eine Agentin zu kontakten. Die Agentin war in diesem Fall keine Geheime, sondern die Emissärin irgendeines Verlegers. Voller heuchlerischen Interesses erkundigte sie sich nach dem lyrischen Schaffen des Vizeparteivorsitzenden. Man trank Tee und stand nach zehn Minuten abrupt auf, indem man sich wechselseitig zuraunte: „Hat mich sehr gefreut.“
Beim zweiten Mal hatte den gesamten halbrunden Erker eine PDS-Basisgruppe für ihre revolutionäre Jahresendfeier besetzt – ein Umstand, der den Wirt fast daran gehindert hätte, mich überhaupt einzulassen (aus Scham?, aus Überlastung?). Die Basis verhielt sich still und trank rasch, als hätte sie etwas im Leben nachzuholen. Als es noch dusterer wurde, erstrahlten – neben der obligaten Kerze auf den Papiertischdecken – Lichtpunkte an der Decke, wie man das aus dem Varieté kennt. Das wirkte irgendwie beziehungsreich. Der Wirt bekundete sein Desinteresse an all den Schönheiten dieser blauen Stunde, indem er alle fünf Minuten MPi-Salven durch den Raum feuerte. Das war seine Eiszerhackermaschine, die das Eis zerhackte. Für die Dauer der Salven hielt die Basisgruppe jeweils in ihren halblauten Bilanzgesprächen inne und hob alle buschigen Augenbrauen. Dazwischen klang es leicht lateinamerikanisch.
Beim dritten Mal befand ich mich so gut wie allein im Lokal. Der Wirt würfelte mit Kumpanen an einem Tisch, den er sich als Büro- und Privatbereich beschlagnahmt hat. Es ist der schönste Tisch im Raum. Bei meinen anderen Besuchen war er mit den Steuerakten des Jungunternehmers und einem Berg alter Rechnungen belegt. Ich saß da und fürchtete, eine Freundin oder ein Freund könnten vor dem Regen draußen hier hinein flüchten und mich in diesem Elend sitzen sehen. Missmutig brachte mir jemand ein Bier: Als ich aufsah, war es eine hochgewachsene, dünne, schöne Rothaarige mit außerordentlich geglückten Wangenknochen, welche ihrem Antlitz etwas durchgehend Beleidigtes verleihen. Über das Schicksal, das sie hierher gebracht hat, könnte ich nur mutmaßen.
Ich trank aus und ging, um nicht wiederzukehren. Es sei denn, die Neugier triebe mich, dereinst „1 Glas Haustee (wechselndes Angebot) 3,00 DM“ zu probieren. MATHIAS WEDEL
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen