: „Das Urteil fördert den religiösen Pluralismus“
Nadeem Elyas vom Zentralrat der Muslime begrüßt den Spruch von Karlsruhe. Eine Körperschaft öffentlichen Rechts will der Rat nicht werden
taz: Herr Elyas, das Verfassungsgerichtsurteil zu den „Zeugen Jehovas“ böte auch dem Zentralrat (ZMD) gute Chancen für eine Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdöR). Wann stellen Sie den Antrag?
Nadeem Elyas: Wir haben schon vor Jahren beschlossen, einen solchen Antrag erst einmal nicht zu stellen. Bisher geben uns die Grundrechte schon alle Rechte, die wir nutzen wollen. Außerdem wollen wir zunächst unsere inneren Strukturen festigen, ehe wir einen solchen Antrag stellen.
Würden Sie nicht einiges an Geld einnehmen, wenn Sie eine KdöR werden würden?
Wir erwarten keine hohen Summen. Zudem ist unser Apparat noch nicht so ausgewuchert, dass diese Finanzspritze nötig wäre. Solange unsere Strukturen noch so schwach sind, könnte es zudem wegen des Geldes leichter internen Streit geben.
Im Urteil wird gefordert, eine KdöR müsse die Grundrechte achten – ist das in Ihrer Organisation der Fall?
Auf jeden Fall. Alle unsere Verbände und Moscheen halten sich an das Grundgesetz und achten die freiheitlich-demokratische Grundordnung.
Das Gericht fordert, dass man stets auch aus der Gemeinschaft austreten können muss – wie ist das bei Ihnen?
Das ist gegeben. Jeder Muslim ist frei auszutreten. Bisher ist ein Verband aus dem ZMD ausgetreten. Darüber hinaus haben wir auch nur einen Verband ausgeschlossen, weil wir befürchten mussten, dass er Kontakte zu Scientology hat.
Aber wie steht es mit der Kindererziehung, die bei den „Zeugen Jehovas“ in der Diskussion steht: Erlaubt das islamische Recht, die Scharia, auch eine gewalttätige Erziehung?
In Ausnahmefällen gibt es in Familien solche Methoden. Aber die Scharia selbst kennt keine Erziehungsformen, die gewalttätig sind. Der Islam fordert vielmehr, die Kinder durch Überzeugung, Liebe und Barmherzigkeit zu erziehen.
Besteht die Gefahr, dass nun islamistische Gruppen als KdöR anerkannt und gefördert werden, weil man sie nicht gut genug kennt?
Unter anderem die Islamische Gemeinschaft Milli Görüș und der Islamrat haben Anträge gestellt. Milli Görüș wird seit Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet, wurde aber bisher noch nie wegen verfassungsfeindlicher Aktivitäten vor Gericht angeklagt. Diese fehlende Konsequenz treibt alle muslimischen Verbände in den Sog der Unsicherheit.
Können nun Islamistengruppen besser ausgegrenzt werden?
Die Vorurteile gegen die Muslime kennen wir, und sie stören uns. Aber sie werden durch Wiederholung nicht wahrer. Nur ein Prozent der Muslime in Deutschland sind gegen den Staat eingestellt, und nur wenige hunderte werden auch aktiv – das ist wenig im Vergleich zu den drei Millionen Muslimen in Deutschland. Muslime dürfen nicht ausgegrenzt werden, sonst könnten sich Parallelgesellschaften bilden, die Platz für Fundamentalisten böten.
Kann der Staat nun durch den KdöR-Status eine Art Gütesiegel für Religionsgemeinschaften verleihen?
Das Urteil ist klug, da es nicht den Glauben der Leute beurteilt, sondern ihr Verhalten. Durch den Spruch des Verfassungsgerichts wird der religiöse Pluralismus in Deutschland gefördert, ohne dass die großen Kirchen dadurch Nachteile haben müssen. Auch wer für sich denkt, dass Frauen unterdrückt und das Rechtssystem in der islamischen Welt nach der Scharia umstrukturiert werden sollte, wird nicht verurteilt, solange er sich nicht in diesem Sinne verhält.
Interview: PHILIPP GESSLER
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