Gebt Gott, was Gottes ist

Bundesverfassungsgericht vollzieht die Trennung zwischen Kirche und Staat: Loyalität zum Staat kann nicht Kriterium für eine Religionsgemeinschaft sein

von CHRISTIAN RATH

Der Fall ist zwar noch nicht entschieden. Doch die Verfassungsrichter haben den Zeugen Jehovas den Weg gewiesen, um als Religionsgemeinschaft und damit als „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ anerkannt zu werden, ein Ziel, das die Gruppe seit langem verfolgt. Der Staat, so erklärte Karlsruhe, darf von Religionsgemeinschaften keine „Loyalität“ fordern, auch wenn er ihnen Vergünstigungen verspricht. Das Verfassungsgericht kippte damit das Merkmal, das der Berliner Senat erfunden hatte, um den „Zeugen“ die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts zu verweigern. Das Bundesverwaltungsgericht muss den Fall neu verhandeln.

Die Anerkennung als „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ würde den „Zeugen“ in vielen Bereichen die Arbeit erleichtern: Sie wären von Grunderwerbs- und Erbschaftssteuer befreit, hätten planungsrechtliche Vorteile beim Bau ihrer „Königreichssäle“ und besseren Zugang zur Seelsorge in Krankenhäusern und Gefängnissen. Das Recht, Kirchensteuern zu erheben, wollen sie nicht nutzen. Ihre Mitglieder sind so fest eingebunden, dass die „freiwilligen Spenden“ ohnehin reichlich fließen.

Das Bundesverwaltungsgericht hatte ihnen den Status 1997 mit der Begründung verwehrt, da Zeugen Jehovas grundsätzlich nicht an politischen Wahlen teilnähmen, schwächten sie die „Legitimationsbasis“ der Staatsgewalt. Obwohl in Deutschland keine Wahlpflicht besteht, sahen die Berliner Richter hier einen „nicht hinnehmbaren Widerspruch“ zum Demokratieprinzip.

Das Grundgesetz verlange keine „Loyalität zum Staat“, betonte dagegen gestern der Zweite Senat des Verfassungserichts unter Präsidentin Jutta Limbach. Auch eine Religionsgemeinschaft, die vom Staat bestimmte Privilegien erhalten wolle, müsse „ihr Wirken nicht an den Interessen und Zielen des Staates ausrichten“. Dies ergebe sich schon aus der im Grundgesetz gewährleisteten Religionsfreiheit.

Nur zwei Kriterien ließ Karlsruhe gelten. Will eine Glaubensgemeinschaft als öffentlich-rechtlich Körperschaft anerkannt werden, muss sie zum einen „Gewähr der Dauer“ bieten (siehe Kasten), zum anderen „rechtstreu“ sein. Eine Gemeinschaft muss demnach „im Grundsatz bereit (sein), Recht und Gesetz zu achten und sich in die verfassungsmäßige Ordnung einzufügen“. Dabei stört allerdings nach Karlsruher Interpretation ein Dissens im Einzelfall ebenso wenig wie der für viele Religionsgemeinschaften typische Vorbehalt, wonach ein Gläubiger im „unausweichlichen Konfliktfall“ eher Gott und seinem Gewissen als dem Staat folgen muss. Die punktuelle Praxis des Kirchenasyls könnte also nicht dazu führen, dass etwa die evangelische Kirche ihren Körperschaftsstatus verliert.

Die Grenze der Rechtstreue ist dann erreicht, so das Urteil, wenn die Grundsätze der Verfassung „systematisch“ beeinträchtigt oder gefährdet würden. Gemeint sind hier insbesondere Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und der Schutz von Grundrechten. Auch „theokratische“ Bestrebungen – also der Versuch, einen Gottesstaat zu errichten – dürfen nicht unterstützt werden. Dieser Passus ist ein deutlicher Fingerzeig dafür, dass fundamentalistische Moslemgruppierungen in Deutschland keine staatlichen Privilegien erhalten können.

Doch auch bei den Zeugen Jehovas sind noch Fragen offen. Das Bundesverwaltungsgericht muss sich jetzt, so der Auftrag aus Karlsruhe, vor allem mit zwei Fragen auseinandersetzen. Zum einen geht es um die von den Zeugen Jehovas empfohlenen Erziehungsmethoden. Es besteht der Verdacht, dass intern noch immer die Prügelstrafe propagiert wird. Außerdem müsse geklärt werden, ob austrittswillige Mitglieder „zwangsweise oder mit vom Grundgesetz missbilligten Mitteln“ in der Gemeinschaft festgehalten werden.

In beiden Punkten fühlen sich die Zeugen Jehovas gut gewappnet. Die Kindeserziehung werde den Eltern überlassen, und Aussteigern werden keine Steine in den Weg gelegt, so Sprecher Bernd Klar. „Wir brechen vielmehr jeden Kontakt zu ihnen ab.“ Für Menschen, die bei den Zeugen Jehovas aufgewachsen sind und kaum Kontakte außerhalb haben, ist das zwar eine schlimme Strafe. Mangelnde „Rechtstreue“ wird man daraus aber kaum konstruieren können.