: Radiokultur wird traditionell – und pure Klassik
Ab nächstem Jahr werden zwei öffentlich-rechtliche Klassikdampfer die Region befideln – und sich gegenseitig die Hörer wegnehmen
Die Chance wurde vertan. In der Stadt, deren bedeutendster Standortvorteil die vielfältige Kulturlandschaft ist, wird es kein neues, kreatives Radioprogramm geben, das sich von allen Kultursparten inspirieren lässt. Stattdessen werden ab nächstem Jahr mit „radio kultur“ (SFB/ORB) und „Radio 3“ (NDR/ORB) gleich zwei öffentlich-rechtliche Klassikdampfer die Region befideln und sich sogar noch verschärfter als bisher gegenseitig die Hörer wegnehmen.
Das neue Konzept für „radio kultur“ ab 2001 wurde jetzt endgültig vom SFB-Rundfunkrat beschlossen. Es orientiert sich grob am bisherigen Sendeschema, allerdings werden die politischen und kulturellen Wortsendungen stark gekürzt: Statt der gesellschaftspolitisch anspruchsvollen Sendung „Der Morgen“ gibt es jetzt „Klassik zum Frühstück“. Die Existenz des frauenpolitischen Magazins „Zeitpunkte“ ist zwar entgegen aller Befürchtungen gesichert, doch muss es mit weniger Sendezeit auskommen – genauso wie die politische Berichterstattung am Mittag und das aktuelle Kulturjournal am Nachmittag. Klassische Musik bestimmt das Programm, Ethno- und Jazzmusik werden auf den unattraktiven Sendeplatz um 23 Uhr verbannt.
Im Glaubenskrieg um den Kulturbegriff haben sich damit die Verfechter durchgesetzt, die Kultur sehr eng definieren. „Das stark konservativ-traditionelle Programm grenzt diejenigen aus, die sich quer durch alle Sparten für unterhaltende und ernsthafte Kultur interessieren“, kritisiert das bündnisgrüne Ratsmitglied Jochen Esser.
Dieser Kurs wurde schon durch die Personalentscheidung vorgegeben: Der designierte Wellenchef für „radio kultur“, Wilhelm Matejka, war früher Chef des Klassikprogramms „SFB 3“ und verantwortet derzeit die Berliner Zulieferung für das konsequent auf Klassik ausgerichtete Kooperationsprogramm „Radio 3“. Sein jetziger Job wird überflüssig, weil der SFB ab nächstem Jahr nicht mehr bei „Radio 3“ dabei ist. Zu hören bleibt das Programm in Berlin trotzdem, auch wenn nur noch ORB und NDR pure Klassik senden, wobei der Anteil Brandenburgischer Konzerte und „Märkischer Zwischentöne“ etwas zunehmen wird.
Der Rundfunkratsbeschluss hat die monatelangen Querelen um die Zukunft des Kulturprogramms in der Region beendet. Ursprünglich wollten die Hörfunkdirektoren von SFB, NDR und ORB „radio kultur“ abschalten und nur noch das klassische „Radio 3“ gemeinsam weiterbetreiben, dessen Hauptprogramm aus Hamburg übernommen werden sollte.
Dagegen konnte sich der Berliner Rundfunkrat zwar noch erfolgreich wehren, doch das Ergebnis ist alles andere als zukunftsweisend: Im Groben bleibt der Status quo bestehen – hinzu kommt die verschärfte „Binnenkonkurrenz“ der öffentlich-rechtlichen Programme. Die Stimmung in den Redaktionen ist gedrückt – hinter vorgehaltener Hand wird sogar befürchtet, dass „radio kultur“ auf lange Sicht durch die Konkurrenz ausgezehrt werden soll, um es später dann doch mit „Radio 3“ zu fusionieren. SILVIA LANGE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen