: Ruhiges Weihnachten in Bethlehem
Seit Beginn der Al-Aksa-Intifada ist die palästinensische Stadt im Westjordanland von israelischen Soldaten abgeriegelt. Pilger und Touristen bleiben aus und damit auch die Einkünfte. Aus den großen Plänen für das Jahr 2000 ist nichts geworden
aus Bethlehem ANTJE BAUER
Oben auf dem Hügel angelangt, muss der alte Mann erst mal verschnaufen. Junge Leute hasten vorbei, in der Hand Plastiktüten mit den Einkäufen aus Jerusalem. In der Ferne sind die weißen Steinhäuser von Bethlehem zu erkennen. „Früher brauchte man zehn Minuten, um mit dem Bus von der Jerusalemer Altstadt bis nach Bethlehem hinein zu fahren. Und schau dir das heute an!“, klagt der alte Mann. „Ist das Frieden, wenn die Straße abgesperrt ist und jeder laufen muss? Ist das Frieden, wenn einen überall jemand ausfragt, wer man ist und wohin man will?“
Seit Beginn der Al-Aksa-Intifada ist Bethlehem abgesperrt. Weit vor der Stadt stehen an einer Sperre israelische Soldaten und lassen nur vereinzelt Autos durch. Wer hinein will oder hinaus, muss seinen Pass vorzeigen und eine Sondergenehmigung für die Einreise nach Israel. Manchmal wird der Weg über den Hügel nicht kontrolliert, so wie jetzt. Dann hastet alles hier entlang, ohne Blick für die sanften Hügel voller Olivenbäume.
Wo der steinige Weg auf die Hauptverkehrsstraße von Bethlehem führt, stehen Taxen. Sie fahren auf Umwegen in die Stadt: Auch diese Verkehrsschlagader haben israelische Militärposten gesperrt, weil die militanten Auseinandersetzungen zumeist am Ortseingang stattfinden. „Hier habe ich gestern Abend eine Barrikade gebaut und angezündet“, sagt der junge Taxifahrer und lacht schallend. Am Straßenrand sind noch verkohlte Reste zu sehen. „Als ich gesehen habe, dass sie brennt, bin ich in mein Auto gestiegen und nach Hause gefahren.“
Nicht alle finden die Intifada lustig. „Oh, a journalist“, seufzt der Inhaber eines Souvenirladens enttäuscht. „Außer Journalisten kommt niemand mehr. Keine Touristen, keine Pilger, wir verkaufen überhaupt nichts mehr. Und was nutzt es, dass ihr Journalisten hier seid und fragt? Es interessiert sich ja doch niemand dafür, wie es uns ergeht.“ Seine Regale und Verkaufstische biegen sich unter tausenden Kreuzen, Krippen, Pietàs und Heilige Familien, alle aus Olivenholz geschnitzt. „Was heißt hier Intifada?“, fragt der Mann, der seinen Namen nicht sagen will. „Wenn geschossen wird, schließen wir uns in unseren Häusern ein und haben Angst. Wozu soll denn das gut sein? “
In der Geburtskirche verhallen die Schritte der Priester, unter dem Klicken der Kameras einiger Photoreporter entzünden sie Kerzen. „Wir müssen beten und hoffen, dass es vorwärts geht“, erklärt Issa Gattas, griechisch-orthodoxer Kantor und arbeitsloser Touristenführer. „Die Israelis müssen uns verstehen. Wir können uns nicht als schuldig bekennen. Wir verteidigen nur unser Recht. Die Kinder hier sterben für uns und für die Zukunft. Sie werden zu Märtyrern. Jetzt ist es genug, jetzt müssen wir kämpfen bis zur Unabhängigkeit.“
Die Stadt ist ruhig, zu ruhig. Im „Friedenszentrum“ neben dem Rathaus werden Krippen aus der ganzen Welt ausgestellt. Doch die Besucher bleiben aus. Auf dem Gemüsemarkt herrscht kein Gedränge. Die meisten Geldwechsler haben geschlossen.
Viel hatte man sich vorgenommen für das Jahr 2000. „Der private Sektor hat für dieses Jahr viel Geld investiert“, klagt der Bürgermeister Hanna Nasser. „Wir hatten mit 1,5 Millionen Besuchern gerechnet in diesem Jahr. Bis Ende November sind 886.000 hier gewesen, aber seit Beginn der Intifada ist Bethlehem abgeriegelt.“ Der israelische Tourismusminister habe zwar versprochen, vor Weihnachten die Stadt zu öffnen, doch bislang sei nichts geschehen. „Es kommen nicht nur keine Besucher herein, sondern wir können auch unsere Produkte nicht hinausbringen. Das heißt, auch diejenigen, die nicht im Tourismussektor arbeiten, verdienen kein Geld mehr.“
Und weil sie nichts verdienen, bezahlen die Bürger auch keine Steuern. Seit November beziehen die Angestellten der Stadtverwaltung deshalb keinen Lohn mehr, auch der Bürgermeister nicht. Hanna Nasser ist ein weißhaariger Mann mit einem gestutzten Bart, ein christlicher Würdenträger der alten Schule. „Ich bin 1936 geboren und habe hier schon viele Krisen miterlebt, aber keine war so schlimm wie diese“.
23 Tote und 300 Verwundete hat es im Distrikt Bethlehem seit Beginn der Intifada gegeben, und das Rathaus hat deshalb alle geplanten Feierlichkeiten mit Ausnahme der religiösen abgesagt. Ein Weihnachtsbaum wird aufgestellt, wie jedes Jahr, und auch die Mitternachtsmesse in der Geburtskirche wird stattfinden. Das ist alles. Wenn die Friedensverhandlungen in Washington erfolgreich sind, werde eine Mehrheit der Bevölkerung Arafat unterstützen und die Intifada beenden, meint Nasser. Falls die Verhandlungen scheitern, gehe sie weiter.
Beim Verlassen der Stadt ist irgendwo ein Schuss zu hören. „Das ist nur ein Flugzeug“, sagt der Fahrer. Noch ein Schuss. Starker Flugverkehr über Bethlehem heute.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen