: Konjunktur verliert Lok
US-Notenbankchef Greenspan deutet eine Lockerung seiner Geldpolitik an und nährt damit Befürchtungen auf ein Ende des Wirtschaftsbooms in den USA
BERLIN taz ■ Schon vor zwei Wochen hatte US-Notenbankchef Alan Greenspan angedeutet, dass das Wirtschaftswachstum in den USA abrupter gestoppt werden könnte als erwartet und geplant. Deshalb wird es niemanden überrascht haben, dass der Offenmarktausschuss als politischer Arm der Federal Reserve (Fed) am Dienstagabend eine Trendwende in der Zinspolitik bekannt gegeben hat: In Zukunft sehe man das Hauptrisiko nicht mehr in einer möglichen Inflation, sondern in einer allzu raschen Verlangsamung der Konjunktur, hieß es. Sprich: Auch wenn der Zinssatz von derzeit 6,5 Prozent zunächst beibehalten wird, ist für die nächste Ausschusssitzung praktisch schon eine Senkung vorgesehen. Trotz der Vorwarnung reagierten die Märkte jedoch genau, wie es eine solche Ansage verdient: Weltweit sackten die Werte in den Keller.
Während der Abfall der US-Technologiebörse Nasdaq auf ihren tiefsten Stand in diesem Jahr vor allem mit enttäuschten Hoffnungen auf eine sofortige Zinssenkung zu erklären war, dürften die Verluste an den nicht amerikanischen Börsen aus viel weiter reichenden Befürchtungen resultieren. Nicht umsonst haben Konjunkturexperten aller Couleur immer wieder davor gewarnt, sich zu sehr auf die USA als Motor für die Weltwirtschaft zu verlassen.
Auch die sechs führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute hatten in ihrem Herbstgutachten explizit darauf hingewiesen, dass es für die stark exportorientierte deutsche Wirtschaft eine erhebliche Bürde bedeuten würde, wenn die Impulse aus Übersee nachließen oder gar ausblieben.
Bis vor kurzem hatte es dabei so ausgesehen, als habe die Fed alles im Griff. Um das rasante Wirtschaftswachstum der letzten Jahre sanft zu bremsen und so eine Überhitzung zu vermeiden, hatte sie den Zinssatz zwischen Juni 1999 und Mai 2000 in sechs Schritten auf die jetzigen 6,5 Prozent erhöht. Die Wirkung kam verzögert – und möglicherweise hatte die Fed sie doch unterschätzt und mit der letzten Straffung zu viel des Guten getan: Hatte das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal noch um 5,6 Prozent zugelegt, war der Zuwachs im dritten mit 2,4 Prozent nicht mal mehr halb so groß.
Schwarzseher warnen nun schon vor einer Rezession, die die USA in eine psychologisch bedingte Abwärtsspirale führen könnte: Sinkt das Vertrauen der Anleger in die US-Wirtschaft, fallen dort die Aktienkurse, das Kapital sucht sich andere Märkte, das Geld fehlt wiederum für Kredite, investiert wird ohnehin weniger, das schwächt die Wirtschaft weiter.
Der Blick auf das reale Wirtschaftsgeschehen relativiert dieses Szenario ein wenig. Die sinkenden Produktionszahlen der Unternehmen, die abnehmende Konsumbereitschaft der privaten Haushalte, die sich häufenden Gewinnwarnungen und Meldungen von Entlassungen bei vielen großen Konzernen signalisieren zwar, dass das Ende der Verlangsamung noch nicht erreicht ist. Aber die Preise sind stabil, wie Greenspan schließlich ausdrücklich bestätigt hat. Die Arbeitslosenzahlen liegen immer noch bei niedrigen 4 Prozent. Und schließlich hat der designierte Präsident George W. Bush bereits angekündigt, dass er den privaten Verbrauch in den kommenden Jahren durch Steuersenkungen wieder anheizen will. BEATE WILLMS
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