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Virtuell war Lafontaine da

Lafontaine sollte Schröder treffen. Doch dazu kam es nicht. Dafür darf die Saar-SPD sich anderweitig freuen. Der 34-jährige Jurist Heiko Maas wurde Parteivorsitzender. Die Basis jubelte – auch weil er zwischen den Zeilen gegen den Kanzler stichelte

aus Saarbrücken HEIDE PLATEN

Mondlandschaft, Sanierungsgebiet, Stahlgerippe – die einstige Burbacher Eisenhütte ist urbaner Hoffnungsträger für die Umstrukturierung der Industriebrachen im Saarland. Zukunft, Erneuerung soll sein zwischen Backstein- und Eisenarchitektur. Das passt und hat Symbolcharakter. Darum ist der Sonderparteitag der saarländischen SPD am Mittwochabend kein schnöder Parteitag, sondern ein Event. Die professionellen Macher der angeheuerten Firma allerdings kriegen die Hütte nicht geheizt. Auch das hat Symbolcharakter: an den Rändern Eiseskälte, in der Mitte viel heiße Luft, die sich schnell verflüchtigt.

Im Saal wartet der potenzielle Erneuerer der saarländischen SPD auf den Kanzler der Mitte, Ehrengast Gerhard Schröder. Heiko Maas ist 34 Jahre jung, Jurist und als Jungpolitiker ein Senkrechtstarter. 1994 ist er in die SPD eingetreten, war jüngster Staatssekretär, dann jüngster Minister, Ressort Umwelt und Verkehr, ist Fraktionsvorsitzender im Landtag. Und am Ende des Abends ist er in Nachfolge von Reinhard Klimmt jüngster Landesvorsitzender der SPD. Die rund 400 Delegierten wählten ihn mit 313 Ja-, 37 Nein-Stimmen und sieben Enthaltungen zum neuen Parteichef.

Doch erst einmal kam Schröder, dem das Stroboskop im Foyer einen kleinen Sternenhimmel auf Erden vor die Füße streute, Seite an Seite mit seinem im November zurückgetretenen Bundesverkehrsminister Reinhard Klimmt. Deutschrock, waberndes Trockeneis, Spotlight. Der Kanzler lächelt stereotyp. Neben Maas sieht er alt aus. Aber erst einmal redet Klimmt: „Ich bin keine Erscheinung und kein Hologramm.“ Er dankt seinem Vorgänger Oskar Lafontaine für dessen Verdienste. Der Kanzler lächelt nicht mehr. Die Konfrontation mit seinem parteiinternen Widersacher bleibt ihm erspart.

„Der Oskar“ ist nicht leibhaftig anwesend, wohl aber virtuell auf den Videowänden, mal mit Klimmt, mal mit Maas. Und spirituell schwebt er sowieso wie ein Geist über dem Parteivolk. Stehende Ovationen für Klimmt, der zwar Schmiergelder angenommen hat, aber doch nur zum Wohl des maroden Fußballvereins 1. FC Saarbrücken. Das gereicht ihm an der Saar zur Ehre: „Glück auf!“ Zum Ende des Abgangs Parteifamilienfotos, Klimmt mit viel, viel Fußball, viel Bier, mit Frau.

Der Beifall für die anschließende Rede Schröders nimmt sich eher spärlich aus. Der verheddert sich in Textbausteinen, wirkt, als flehe er den traditionell aufmüpfigen Landesverband um Anerkennung an: „Darauf kann man ruhig mal stolz sein.“ Im Übrigen, hatte der Kanzler zu Beginn angemerkt, habe er es „nicht so gerne“, wenn die Jungen die Fähigkeit zur Erneuerung der Partei und der Gesellschaft mit dem Lebensalter verknüpften.

Heiko Maas, hört man, spiele auch Fußball. Die Videowand zeigt ihn als Coca-Cola-Trinker, Schraubendreher, Freund der Greifvögel und als Bogenschützen. Auf dem Podium verschießt er kleine Pfeile in Richtung Schröder. Der Kanzler vergisst das Lächeln ganz und gar, als Maas ihn von oben herab abkanzelt. Natürlich sei Erneuerung „keine Frage des Lebensalters“, aber Teamgeist gehöre dazu und Solidarität: „Ich plädiere hier für eine neue Offenheit der Partei. Zunächst nach innen.“ Keine Autokratie, Diskussionsforen, Basis- und Bürgerbeteiligung, Netzwerke, kollegiale Parteiführung kündigt er an. Umwelt-, Atom-, Friedenspolitik im Sinne „von Oskar“ dazu. Das habe er schon als Juso-Vositzender gefordert: „Ich hätte mir damals den Beifall gewünscht.“ Der Kanzler mahlt mit dem Unterkiefer. Das Parteivolk jubelt.

Maas beherrscht das Neudeutsch von Internet bis E-Commerce ebenso gut wie die Grünen, jedenfalls aber besser als Schröder. Gentechnologie muss zwar sein, aber es darf diskutiert werden. „Aus dem wird was“, sagen auch die Alten. Denn auch denen spricht er aus der sozialdemokratischen Traditionsseele. Kühe sollen wieder Gras fressen. Die heimische Schwerindustrie ist noch nicht am Ende. Und: „Das Wort Heimat darf nicht durch das Wort Standort ersetzt werden.“ Jüngster Parteivorsitzender also nun. Irgendwann Kanzlerkandidat? Nach der Wahl sagt Heiko Maas ganz cool: „Das ist ein bewegender Moment für mich.“

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