piwik no script img

Ho, ho, ho!

Der Weihnachtsmann ist in China ein Unbekannter. Doch nicht mehr lange. Denn Ikea ist im Reich der Mitte angekommen. Nach dem Motto „Je fremder, desto besser“ verwirrt und fasziniert die größte Möbelkette der Welt Peking mit Christbaumschmuck, goldenen Kerzenständern, Wickeltischen und Möbeln mit Astlöchern

von GEORG BLUME

Sie trägt über dem rosa Mohairpullover eine rote Nickelbrille, darüber weht ihr hennagefärbtes Lockenhaar im kalten Pekinger Winterwind. Vor ihr steht der größte Weihnachtsbaum der Stadt, ein Ikea-Baum. Er muss von weither aus den westlichen Bergen stammen, denn so groß wachsen die Bäume im Staub der Wüste Gobi nicht, der gerade wieder über Peking hinwegfegt. Für Liu Lanxin, die Frau im Janis-Joplin-Look, bietet der festlich geschmückte Baum einen stolzen, ungewohnten Anblick. „In diesem Jahr wollen wir mit unseren Freunden auf dem Land zusammen Weihnachten feiern“, sagt Liu.

Liu ist der hundertprozentige Ikea-Typ, wie es ihn vielleicht nur noch in China gibt. Sie lebt den Siebzigerjahrestil im 21. Jahrhundert – draußen auf ihrem Landhof nahe Yantai, einem Küstenstädtchen in der Provinz Shandong. Dort gründete Lui vor acht Jahren, gerade als Deng Xiaoping die Gründung von Privatunternehmen in den Städten legalisieren ließ, ein kleines Geschäft für westliche Frauenmode. Seitdem ist sie in Stil und Geschmack ihrer Umgebung voraus. „Bei mir zu Hause glauben die Gäste im Ausland zu sein“, bemerkt die etwa dreißigjährige Boutiqueninhaberin.

So soll es auch an diesem Heiligabend sein. Alles Nötige dafür hat Liu gerade eingekauft: goldene Kerzenständer und Sektgläser, rote Teelichter und einen Bilderrahmen, aus dem daheim der Weihnachtsmann gucken soll. Ikea in Peking macht es möglich.

Erst ein gutes Jahr ist es her, dass die größte Möbelkette der Welt ihr erstes Kaufhaus in der chinesischen Hauptstadt eröffnete. Jetzt feiert man dort zum ersten Mal Weihnachten. Auf jedem Tisch, der zum Verkauf aussteht, eine Kerze, hinter jedem Sofa ein künstlicher Tannenbaum. Christschmuck und Festdekorationen, wie sie viele der dreißigtausend Menschen, die derzeit an jedem Wochenende das Möbelhaus besuchen, in ihrem Leben noch nicht gesehen haben.

„Bei uns ist Weihnachtszeit“, hebt Ikea-Chef Birger Lund zur gewohnten Erklärung für chinesische Kunden an, die nicht wissen, was hier los ist. Gerade noch rechtzeitig merkt der gestresste Möbelmanager, dass er mit einem westlichen Journalisten redet. „Ach wissen Sie, die Chinesen verstehen nichts von unserer Religion“, wechselt Lund die Sichtweise. „Das ist aber auch gar nicht nötig“, meint er. „Die Chinesen mögen die Weihnachtsfarben Silber, Gold und Rot genauso wie wir.“

Sicher auch noch etwas mehr. Zum Beispiel ein bisschen Kerzenromantik in der kalten Jahreszeit. Kerzen sind in Peking derzeit richtig in Mode, nur der Weihnachtsmann bleibt ein Unbekannter. Schon im Januar feiern die Chinesen ihr großes Neujahrsfest mit vielen Feiertagen, Festtagsgerichten und Kindergeschenken. Das Weihnachtsfest so kurz davor hat bisher keine großen Vermarktungschancen. Aber es ist bei Ikea schön anzuschauen.

Das Schwedenschauspiel zieht die Leute an wie einst der erste McDonald’s. Kein zweiter Ikea-Laden von 170 in aller Welt zählt pro Quadratmeter Ausstellungsfläche mehr Besucher als das Möbelhaus an der Pekinger Ringstraße. Allerdings sind davon nur ein Bruchteil Kunden. Die meisten kommen zum Anschauen. „Wir arbeiten hier in einer Museumsatmosphäre“, berichtet Filialleiter Lund.

Nicht nur Weihnachtsschmuck gibt es zu bestaunen. Man frage etwa Shen Faping, eine jungdynamische Unternehmensassistentin, die gerade ihre erste eigene Wohnung einrichten will, nach dem Zweck eines kiefernen Ikea-Brotkastens: „Das könnte ein Kopfkissen für den Sommer sein, auf dem der Nacken nicht nass schwitzt“, rät Shen. Nur fast richtig. Auch der Sinn eines hölzernen Fleischklopfers will der forschen Geschäftsfrau nicht sofort einleuchten. Sie tippt auf ein Handmassagegerät. Wer brät in China schon Steaks!

Ikea aber hat es der jungen Wahlpekingerin trotzdem angetan. „All die alten Sachen, die Bauernmöbel und Holzfiguren, die wir früher in Ehren hielten, sind verschwunden“, konstatiert Shen. „Es ist wie mit der Kleidung. Die neue Zivilisation können nur neue Möbel repräsentieren.“

Darauf setzt auch Birger Lund. „Wir sind die Ersten, die den Chinesen moderne Lampen und Stühle zeigen. Heimdekoration gab es hier bisher kaum“, betont der Schwede Ikeas zivilisatorischen Auftrag.

Wang Liping winkt ab. Der 25-jährige Lebensgefährte von Unternehmensassistentin Shen wundert sich, wie extravagant heutzutage so unwichtige Dinge wie Lampen und Stühle aussehen können. Wang ist Elektroingenieur. Sein Geld will er lieber für eine Eigentumswohnung sparen als für teure Möbel ausgeben. Nicht einmal „Billy“ kann ihm gefallen. Der Preis des Ikea-Standardregals, das einst in Westdeutschland jede Studentenbude zierte, übersteigt in China immer noch das Monatsbudget eines einfachen Arbeiters. Jeder Pekinger Tischler kann ein Holzregal billiger als Ikea anbieten.

Doch Wang geht es nicht nur ums Geld. Entsetzt betrachtet er die üblichen weißen Ikea-Papierlampen. „Das sind Beerdigungslampen. Meine Mutter würde nicht mehr zu uns kommen, wenn du sie aufstellst“, erinnert er seine progressive Partnerin an alte kaiserliche Traditionen. Dann erspäht Wang Astlöcher auf einer Küchentischplatte: „Meine Mutter würde meinen Vater damit nicht ins Haus lassen. Der ärmste Bauer duldet kein Astloch auf seinem Tisch“, triumphiert der Wertkonservative. So kaufen Wang und Shen an diesem Adventstag nur zwei Glühbirnen – die üblich magere Ausbeute von Ikea-Erstbesuchern in China.

Birger Lund aber, der zuvor erfolgreich Geschäfte in Schweden, England, den Niederlanden und Dänemark führte, lässt sich von ersten Abwehrreaktionen nicht beirren. „Wir bringen den Chinesen bei, dass Bäume Astlöcher haben“, hält er dem jahrtausendjährigen chinesischen Tischlerbrauch entgegen, diese Löcher von Möbeloberflächen zu entfernen. Hinter Lunds Worten steckt Prinzip. Ganz nach dem Motto „Je fremder, desto besser“ setzt Ikea in China voll auf abendländische Exotik. Nichts wird hier dem chinesischen Kundengeschmack angepasst – nicht einmal das Selbstbedienungmenü im Kaufhausrestaurant.

Dort arbeitet seit einigen Tagen Tobias Roos, ein smarter Sinologiestudent aus Stockholm, der mit der Verständigungsarbeit zwischen Ikea und den Chinesen seine ersten Berufserfahrungen sammelt. Roos hat ein Problem: Viele seiner Restaurantkunden kennen nicht, was Ikea ihrem Gaumen zu bieten hat. Im Selbstbedienungsbetrieb servieren sie sich Mandelkuchen mit Fleischsoße oder nehmen Bockwürste und Marzipanröllchen auf einen Teller. Roos möchte nun deutlichere Zeichenschrifterklärungen anbringen lassen, um die Besucher vor ungewollten kulinarischen Abenteuern zu bewahren. „Vom westlichen Essen kennen die meisten Chinesen nur McDonald’s oder Kentucky Fried Chicken“, weiß Roos. „Hier haben sie ihren ersten Kontakt mit Messer und Gabel.“ Natürlich weigert sich Ikea konsequent, Stäbchen auszuteilen.

Der Möbelhaussinologe hat zudem festgestellt, dass Ikea-Besucher in China keine Babywickeltische kennen, dass sie nicht begreifen, weshalb man im Laden Bleistifte und Messband verschenkt, dass sie nicht verstehen, warum man Möbel selbst zusammenbaut, um Geld zu sparen. Dabei fasziniert den Chinabeobachter Roos etwas ganz anderes: „Das Verwunderliche ist, dass viele Menschen gerade deshalb zu kommen scheinen, weil sie uns nicht verstehen. Sie stellen viel mehr Fragen als westliche Kunden, und zwar nicht wie im Westen in einem ärgerlichen, sondern in einem interessierten Ton.“

Die Atmosphäre im Möbelhaus ist erstaunlich ruhig – als lasse die Sofaherrlichkeit Blicke und Stimmen erstarren. Tatsächlich bietet das „unmögliche Möbelhaus“ aus Schweden den meisten Chinesen mehr als das Mögliche. Zum ersten Mal ist Ikea in einem Dritteweltland angekommen. Und zum ersten Mal klingt die Firmenphilosophie, „schöne Möbel für alle erschwinglich zu machen“, ein wenig heuchlerisch. Birger Lund streitet das nicht ab: „Möbel sind für viele Chinesen schlechthin ein Luxus. Selbst die Teetasse für zwei Yuan (umgerechnet 60 Pfennig) ist für jemand, der hundert Mark im Monat verdient, noch teuer“, räumt der ehrliche Schwede ein.

Doch in Großstädten wie Peking und Schanghai wächst der Reichtum einer neuen Mittelschicht, sorgt die vor zwei Jahren angelaufene Wohnungsreform dafür, dass die alten staatseigenen Mietwohnungen von ihren Bewohnern billig gekauft werden können. Mit dem sich schnell vermehrenden Besitz von Privatwohnungen aber steigt das Bedürfnis nach individuell gestalteten Inneneinrichtungen, wie sie Ikea, wenn schon nicht verkauft, so doch modellhaft vorführt. Immerhin wird Ikea-Design bereits für alle größeren Möbelhäuser in Peking nachgebaut – zumeist illegal.

Auch das kann den Schweden nur recht sein. „Es gibt in China heute einen unersättlichen Hunger, ein intensives Begehren nach allem, was aus dem Westen kommt“, sieht sich Ikea-Chef Lund im Strom der Zeit schwimmen. Er vertraut darauf, dass, wer heute interessiert hinschaut, in ein paar Jahren Ikea-Fan ist.

So wie heute Liu Lanxin: „Lieber echte Ikea-Möbel als gefälschte Ming-Möbel“, stipuliert die Modekennerin aus der Provinz. Richtig daran ist: Die schönen, simplen chinesischen Möbel aus der Ming-Zeit vor fünf- bis sechshundert Jahren sind im originalgetreuen Nachbau noch teurer als Ikea-Möbel. Für sie bedürfte es in China wirklich eines Weihnachtsmannes. Wie schön für Ikea, dass es ihn hier nicht gibt.

GEORG BLUME, 37, ist seit 1985 taz-Auslandskorrespondent (Paris – Tokio – Peking). Am Heiligabend wird er mit seinem Sohn ein Gedicht einüben für den Opa in den Pyrenäen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen