: „Wer dick ist, muss was aus sich machen“
Brigitte Hinz organisiert seit fünf Jahren die Dicken-Disko und fordert statt breiteren Sitzen im Flugzeug mehr Bewegung
taz: Alle Welt will zu Weihnachten gut essen und trinken. Kaum ist der Genuss aber vorbei, setzt das große Jammern über lächerliche zwei Kilo Zugewicht ein. Können Sie das nachvollziehen?
Brigitte Hinz: Die zwei, drei Kilo machen bei Dicken nicht so viel aus. Man nimmt sich zwar vor, vor dem Fest nicht so viel zu essen, aber meistens wird das nicht eingehalten. Für mich selbst ist das egal. Aber es gibt Dicke und Dicke: Die im Kopf dick sind und Konfektionsgröße 40 haben, fühlen sich superdick bei einem Kilo mehr.
Wo haben Dicke Probleme?
Zum Beispiel bei der Arbeitssuche. Schicken Sie mal eine Dicke Arbeit suchen! Ich habe das oft gehabt bei Frauen, die mich anrufen. Das fängt schon mit dem Outfit an. Wenn man dick ist, muss man was aus sich machen! Viele haben sehr wenig Selbstbewusstsein, und denen sage ich immer, dass sie an sich arbeiten müssen. Es kommt darauf an, pfiffig zu sein! Dann ist das Dicksein halb so schlimm. Bei denen, wo sich das Phlegma breit macht, die sollen meinetwegen ins Fitnessstudio für Dicke gehen. Doch die mit Phlegma gehen zweimal hin, aber nur, wenn die Freundin dabei ist. Und wenn die Freundin mal nicht kann, dann war es das auch schon.
Welche Probleme lauern im praktischen Leben?
Ja, da gibt es schon Probleme. In der Bewegungsfreiheit. Ich bin selbst auch dick, aber nicht schon immer. Jede Dicke hat mal dünn angefangen. Ich bin duch die Wechseljahre auseinander gegangen und habe sämtliche Diäten gemacht. Ich esse keine Unmengen, nur zum falschen Zeitpunkt und ohne darauf zu achten, was es für eine Margarine ist. Aber man muss unterscheiden.
Die einen können sich super bewegen und sind rucki, zucki. Und dann gibt es Dicke, die nach drei Schritten außer Atem sind. Ich fliege zum Beispiel sehr oft und passe gerade mal so in den Sitz rein und muss bei dem Tisch zurückrutschen. Ja, es könnte alles größer und besser sein. Aber die Firmen können sich doch nicht umstellen und die Sitze breiter machen. Die müssen nicht dickengerecht sein. Ich muss dann eben abnehmen.
Warum lassen sich viele gehen?
Ich hatte fünf Jahre Zeit, die Dicken kennen zu lernen. Viele haben so ein Phlegma. Dann sage ich immer: „Jetzt muss es im Kopf blitzen, schieb mal das Fett beiseite!“ Viele Dicke stehen sich selbst im Wege. Ich kann nicht im Fernsehen auftreten und sagen, ich fühle mich mit drei Zentnern wohl. Das gibt es nicht. Da gehe ich mit denen konform, die dagegen poltern. Ich fühle mich auch nicht wohl. Aber ich selbst will nicht viel abnehmen. Bei mir ist das altersbedingt. Deshalb bleibe ich einfach so. Dann habe ich weniger Falten. (lacht) Sonst müsste ich mir einen Faltenrock passend zum Gesicht kaufen. Und ich bin kein Faltenrocktyp.
Gibt es etwas, was Sie sich anstelle von Sonderanfertigungen für Dicke wünschen?
Dass sich Dicke keine Leggins anziehen und dass sie sich figurbewusst anziehen. Man muss nicht in Sack und Asche rumlaufen, nur weil man dick ist. Wenn Dicke mehr aus sich machen, würde keiner sagen, „Iiiih, guck mal, die Dicke!“, sondern: „He, guck mal, die Dicke, die sieht aber nett aus!“
Kann Dicksein Vorteile haben?
Ich wüsste nicht, was ein Vorteil sein könnte. Wenn es kalt ist, friere ich auch. Mein Mann hat hinter mir vielleicht mehr Schatten. Aber das ist sein Vorteil, nicht meiner. (lacht)
INTERVIEW: B. BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA
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