: Doppeldeutiges aus dem Kreml
In einem Fernsehinterview zieht Russlands Staatschef Wladimir Putin nach einem Jahr Präsidentschaft Bilanz. Dabei besticht er durch Sachkenntnis und Kompetenz. Doch die Frage, wohin die Reise unter Putin geht, ist noch immer nicht geklärt
aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH
„Bei den Präsidentschaftswahlen im März habe ich einen auf vier Jahre befristeten Arbeitsvertrag erhalten, als ein solcher Arbeitnehmer möchte ich auch gesehen werden“, sagte Russlands Präsident Wladimir Putin in einem Interview mit den beiden staatlichen Fernsehsendern Russlands. Vom Kremlchef wollten die Journalisten wissen, ob er Gefallen finde an Kinderbüchern über die Jugend des kleinen Wladimir und Büsten, mit denen Anhänger dem Kremlchef seit seiner Inthronisierung ihre besondere Ergebenheit beweisen wollten. „Ich bedanke mich bei allen, möchte sie aber bitten, dergleichen nicht mehr zu machen“, meinte Putin etwas verlegen.
Am Neujahrstag 2000 hatte Wladimir Putin von Präsident Boris Jelzin die Regentschaft übernommen. Auch ein Jahr danach herrscht Unklarheit, wer sich hinter der Figur des neuen Präsidenten verbirgt. Will er das Riesenreich auf einen autoritären Entwicklungspfad zurückführen oder hält der ehemalige KGB-Spion an der demokratischen Öffnung fest?
Die Signale aus dem Kreml waren doppeldeutig. Ein Rückfall in den sowjetischen Personenkult würde indes weniger Russland als den Westen irritieren. Zu Hause ist Putin auch heute noch der populärste Politiker. Autoritäre Tendenzen und Versuche, der kremlkritischen Presse die Flügel zu stutzen, taten seinem Ansehen bisher keinen Abbruch. Der unabhängige Fernsehsender NTW, den der Kreml seit Monaten unter dem Vorwand finanzpolitischer Manipulationen mundtot zu machen versucht, war nicht geladen. Nur der Chefredakteur der Nezavissimaja Gazeta, Witalij Tretjakow, durfte als Vertreter der nicht staatlichen Presse an dem Jubiläumsinterview teilnehmen.
Ein Unterschied zu Boris Jelzin sprang indes sofort ins Auge. Putin war bestens informiert. Darüber hinaus vermittelte er den Eindruck, mit den Gesprächspartnern einen angeregten Dialog zu führen, der ihm auch noch Spaß machte. Die Zuschauer mussten nach der Sendung den Eindruck haben, von einem Politiker geleitet zu werden, der sein Geschäft versteht.
Neue Akzente setzte er indes nicht. Außenpolitisch bemühte sich der Kremlchef um ein moderates und vorsichtig selbstkritisches Bild. „In der Sowjetära haben wir die Welt so sehr in Angst versetzt, dass sie große Militärblöcke schuf, was uns nicht geholfen hat“, sagte Putin. „In den ganzen letzten zehn Jahren dachten wir, wir werden von allen sehr gemocht. Es stellte sich heraus, dass das nicht durchweg der Fall ist. Wir müssen unsere imperialistischen Ambitionen zwar überwinden, gleichzeitig aber unsere nationalen Interessen erkennen und sie verteidigen.“
Der Wechsel in Washington beunruhigt Putin nicht. „Meine Analyse zeigt, die Beziehungen zwischen den USA und der Sowjetunion nahmen unter republikanischer Administration keinen Schaden.“ Die USA und Russland seien weder Feinde noch Rivalen wie zu Sowjetzeiten.
Die amerikanische Kritik an verstärkten Kontakten des Kreml zu den so genannten Schurkenstaaten, insbesondere Waffenlieferungen an den Iran, konterte der Präsident, auch Deutschland habe Teheran wieder eine Kreditlinie geöffnet. Heute fänden „im Iran eindeutige Veränderungen statt“, die man im nationalen Interesse nicht übersehen dürfe.
Innenpolitisch wies Putin Ängste zurück, unter seiner Ägide vollzöge sich ein schleichender Wandel in Richtung eines überbürokratisierten Staatskapitalismus. Diesen Vorwurf hatte der Präsident Tschuwaschiens, Nikolai Fjodorow, im privaten Fernsehen NTW erhoben. „In den letzten Monaten können wir den Aufbau eines bürokratischen Russlands beobachten“, meinte Fjodorow. Es sei offensichtlich, dass zurzeit ein „überzentralistisches bolschewistisches Russland“ errichtet würde. Putin hielt mit einer Replik dagegen, die Kritiker nicht beruhigen wird: „Autoritarismus bedeutet Missachtung des Rechts, Demokratie Einhaltung der Gesetze.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen