piwik no script img

„Video killed the radio star“

Kein Hit ohne Video, keine Single ohne Clip – die Reihe „Fantastic Voyages“ widmet sich so unterhaltsam wie analytisch einem popkulturellen Phänomen, das längst zur Industrie geworden ist. Zu Wort kommen Musiker, Regisseure und Theoretiker

von GERRIT BARTELS

Wer kennt nicht dieses durchaus ärgerliche Phänomen, einem bestimmten Lied nicht mehr ausschließlich die eigenen Bilder, Vorstellungen und Gefühle zuordnen zu können? Da passiert es dann, dass zu „Unfinished Sympathy“ von Massive Attack immer wieder Shara Nelson durchs Bild und eine Londoner Straße entlangläuft, zu Blurs „Coffee & TV“ die Liebesgeschichte der beiden Milchtüten lebendig wird, oder zu „A Song For Lovers“ der halb nackte Richard Ashcroft in den Sinn kommt, der allein in seiner Wohnung auf einer Couch sitzt und sich ein Fertiggericht einverleibt.

Seit vor gut zwanzig Jahren der Musiksender MTV in New York mit dem sinnfällig-programmatischen Buggles-Video „Video Killed The Radio Star“ auf Sendung ging, sind Popsongs und die sie illustrierenden, bewegten Bilder nicht mehr zu trennen. Sah man den Videoclip und seine Abspielstätte anfangs bevorzugt als Medium, das allein den Plattenfirmen als neues Werbeinstrument diente, veränderte sich diese Sichtweise im Lauf der Jahre und mit ihr der Videoclip: Er wurde zum Imageträger für die Musiker und als solcher auch von Publikum und Kritikern wahrgenommen; er wurde zu einer eigenständigen Kunstform, die Filmregisseure und bildende Künstler anzog, die Sehgewohnheiten veränderte und damit in die Bilderwelten der Kunst und vor allem des Fernsehens zurückwirkte: Stichwort MTV-Ästhetik. Genau diesen gewandelten Bedeutungen des Videoclips, seinen Einfluss auf Kunst, Popkultur und unser aller Leben möchte auch der Berliner Regisseur und Musiker Christoph Dreher mit seiner Dokumentation „Fantastic Voyages – Eine Kosmologie des Musikvideos“ auf die Spur kommen.

Dreher, der selbst für seine preisgekrönten Popfilmreihen „Lost In Music“ und „Pop-Odysse“ von den Videoclips profitierte und sie zu ästhetischen, analytischen und illustrierenden Zwecken einsetzte, hat dafür Filmkritiker wie Heike-Maria Fendel, Poptheoretiker wie Diedrich Diederichsen und Kodwo Eshun oder auch den Psychonalytiker Slavoi Zizek befragt. Diese kommentieren in Folgen wie „Space Is The Place“, „Body Rock“ oder „Befreite Bilder“ Videos und versuchen, deren Interaktionen mit Körperpolitik, Science-Fiction, Multikulturalismus, Albträumen oder Feminismus transparent zu machen.

Bevor es aber solcherart knietief in die Diskurse geht, erzählt Dreher erst mal in dem heute die siebenteilige Reihe auf 3sat eröffnenden Film die Geschichte des Clips: Von den Buggles zu Godley & Creme, von Zbigniew Rybczynskis „Imagine“-Video über Peter Gabriels „Sledgehammer“ zu den millionenschweren Drehs der Jacksongeschwister und wieder zurück zu der Low-Budget-Produktion von Fatboy Slims „Praise You“.

Da schwärmt der Clipregisseur Jonathan Glazer von der Faszination, Kurzfilme ganz unabhängig von der Musik zu drehen, da wird erklärt, was ein Performance-Video ist, und da machen die alten Dreher-Kumpels Nick Cave und Blixa Bargeld keinen Hehl daraus, wie wenig sie von den Videoclips halten.

Kennt man wiederum Machart und Stil von Drehers Filmen zur Genüge – Interview, Schnitt, Videoclip, Schnitt, Live-Aufnahme, Schnitt – so überrascht es einmal mehr, wie gut sie doch funktionieren: Das Interesse an der gar nicht so seltsamen und fremden, aber großen, weiten Welt des Videoclips hält sich bis zur letzten Sequenz des Films.

Dass es aber ermüdend ist, auch nur eine halbe, dreiviertel Stunde die schnellen Bilder, Kurzfilme und Geschichten auf MTV oder Viva zu verfolgen, weiß jeder aus eigener Erfahrung, auch Herr Dreher, und das bewies im Übrigen auch eine Veranstaltung in der Berliner Volksbühne, wo die im Anschluss an den Einführungsfilm nonstop gezeigten Videos in kurzer Zeit den Theatersaal leerten.

Gut, dass da laut Slavoi Zizek die Musik „normalisiert, was wir sehen“, und sich wie ein „schützendes Kissen“ zwischen die Bilder und uns legt. „Da sind Videoclips therapeutisch, sie machen unsere Albträume erträglich“. Am Ende eines langen, schnellen bilderreichen Clips siegt vielleicht doch immer wieder die Musik.

„Fantastic Voyages“: Heute, 30. 12., ab 22.25 auf 3sat, vom 8. 1. bis zum 12. 2. jeden Montag ab 22.55 Uhr, 3sat

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen