: Vom Gängelband befreit
Die taz, die Studierenden und die Bildungspolitik: eine Hassliebe aus glühender Leidenschaft
von CHRISTIAN FÜLLER
Es musste ein Missverständnis sein. Dachte man. Dass die stramm links sich gerierenden Studis, die Anfang 1998 den Kinosaal der Humboldt-Uni stürmten, den Spiegel-Korrespondenten Reinhard Mohr anpöbelten, gut, das mochte angehen. Dass aber auch wir, die „Kinder-FAZ“, wie sie uns nannten, Meinungsunterdrückung betreiben würden – nein. Dass wir, weil am Halsband der fiesen Bourgeoisie, uns als bürgerliche Presse beschimpfen lassen mussten. Ausgerechnet wir, die wir als einzigen Anteilsschein den der höchstens ideell lukrativen taz-Genossenschaft unser Eigen nennen können. Nein, das konnte nicht sein! Man erbettelte sich also ein Bier aus dem Publikum des Studentenkongresses „Universität und Gesellschaft“ und missverstand sich weiter.
Es war aber kein Missverständnis. Die StudentInnen mochten uns wirklich nicht mehr. Nicht nur der „Linksruck“, ein mehr oder weniger relevantes politisches Fossil der Studi-Szene, war unzufrieden. Auch die lucky streikenden Normalostudis waren genervt – und es waren ja niemals mehr Studierende für ihre Belange in D. auf die Straße gegangen, als im „Lucky Streik“ 1997/98. Sie hatten es in die Hauptnachrichten und auf die ersten Seiten aller Zeitungen geschafft, mehrfach. Die taz druckte sogar die Pamphlete der Studis gegen Studiengebühren und für ein richtiges Bafög und überhaupt in einer eigenen Kolumne ab. Auf der Meinungsseite freilich offenbarte sich das tiefe Zerwürfnis zwischen den Studierenden und der vermeintlichen Linkspostille aus Kochstraße.
Dort, auf der Debattenseite, haben traditionell die 68er das Schreiben: Tiefgängige Analysen herrschen vor, die politisch-historischen Maßstäbe sind turmhoch. Studenten werden prinzipiell als sehr bewusst agierende politische Subjekte angesehen. Ihre gesellschaftliche Relevanz wird direkt an den Rudi Dutschkes und Daniel Cohn-Bendits bemessen. Auf der Meinungsseite also wurde der Studentenstreik so richtig runtergemacht. Unpolitisch! Kindisch! Love Parade!
Und die Studis keilten zurück: Ihr versteht uns nicht, ihr liebt uns nicht (mehr), dachten und sagten sie. Recht hatten sie.
Wenige Monate später liebten wir sie wieder. Aber anders. Im April 1998 startete in der taz eine Bildungsseite. Klaudia Brunst und Michael Rediske, damals die ChefInnen im Glaskasten, wollten ein eigenes Ressort, in dem die Zukunft von Schule und Hochschule diskutiert werden sollte. Viel mehr Konzept war nicht. Und das alte, parteiisch auf seiten der Studis und der SchülerInnen zu stehen, damit war ja nun nix mehr. Aber das ist ja vielleicht auch ein Glück.
Denn wir sind nicht mehr am, und sei es eingebildeten, Gängelband der Studierenden. Sondern können auch mal von BDI-Chef Hans-Olaf Henkel oder dem gebührengeilen SPD-Wissenschaftsminister aus Niedersachsen, Thomas Oppermann, durchbuchstabieren lassen, was Studiengebühren bringen könnten – unter Protest, versteht sich. Zusammenkommen mit unseren uns hassliebenden LeserInnen werden wir dann auf jeden Fall wieder: Denn in der Bildungspolitik stimmt für die taz das, was in anderen Ressorts längst nachgelassen hat: Wenn’s um Schulen oder Unis geht, dann ist unser Publikum hochreaktiv.
Wer in der taz das Thema Pauker unter der Fragestellung „Faule Säcke?“ diskutiert, wird Waschkörbe voll verbitterter Leserbriefe ernten – und manchen bösen Blick aus der Abo-Abteilung. Einmal die Waldorfschulen angepiekst, und das durchrasste Gesamtwerk Rudolf Steiners wird einem um die Ohren gehauen.
Vor allem Letzteres ist nervenaufreibend. Aber insgesamt ist die Zankerei nicht nur lästig. Denn die Debatte darüber, wieviel Wettbewerb in Bildungseinrichtungen sein darf – und das ist derzeit die Frage der „im Kern verrotteten“ Lehranstalten – ist politisch weiter offen, ja sie ist von der Sache her nicht geklärt. Das heißt, sie braucht den Streit.
Wie viel Schulaufsichtsbeamtentum ist tolerabel, wie viel Milliarden sollen in den Staatsapparaturen des Lernens noch versenkt werden? Oder, andersherum: Werden die Unis und Schulen bald darauf reduziert, ausbeutbare Arbeitskräfte nur noch auszubilden, statt mündige citoyens zu bilden? Und was bleibt denn übrig von den deutschen Erfindern exzellenter, weltweit kopierter Hochschulen, Schulen, Kindergärten, den Humboldts, Hentigs und den Fröbels?
Zugeben, auch wir wissen es noch nicht ganz genau. Aber ohne uns und vor allem ohne unsere aufgeregten Leser-, Genossen- und Liebschaften kriegen sie es auch nicht raus. Also: taz muss sein! Wegen der Bildung!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen