Der Landwirtschaftsminister: Lobbyist am Kabinettstisch

Interessenvertreter waren auch Funkes Vorgänger. Die Grünen sollten trotzdem das Landwirtschaftsministerium nicht abschaffen wollen, meint Grünen-Politiker Baringdorf

BERLIN taz ■ Jeder Kanzler hat seinen Bauern: Egal ob bei Brandt, Schmidt, Kohl oder Schröder – an jedem Kabinettstisch hat von jeher ein Landwirt gesessen. Die Aufgabe: Stimmen auf dem Land einsammeln oder wenigstens die Bauern ruhig stellen. Weil das am besten im Frieden mit Bauernverband und Agrarindustrie funktioniert, agierten alle Minister wie Interessenvertreter. Der prustend-polternde Josef Ertl von der FDP, der kugelige Ignaz Kiechle von der CSU, der technokratische Jochen Borchert von der CDU und der Sprüche klopfende Karl-Heinz Funke von der SPD – alle waren nicht nur von Haus aus Bauern, sondern Landwirtschaftslobbiysten. Die Ziele: Schutz der deutschen Landwirtschaft vor zu viel Importen, Abschöpfen der Subventionen aus den Töpfen der Europäischen Union. Die wichtigste Botschaft: So wie es läuft mit der Nahrungsmittelproduktion in Deutschland, so soll es auch bleiben.

Als Schröder Kanzler wurde, nahm er seinen Agrarminister aus Hannover mit. Der 54-Jährige, der sich in Niedersachsen mit Kuhfladenweitwurf und flotten Sprüchen (siehe Kasten) profilierte, sollte die traditionelle Rolle der „Landwirte-Lobby mit Kabinettsrang“ übernehmen, wie es Grünen-Fraktionschefin Kerstin Müller erst kürzlich formulierte. Viele Stimmen sind zwar für die SPD bei den Bauern nicht zu holen. Es galt aber, zu verhindern, dass der Bauernverband die Landwirte auf die Straße treibt: Kontinuität im Ministerium, dafür kein Traktorengeknatter in der Hauptstadt.

Seit der Rinderwahn in Deutschland entdeckt ist, hat der Kanzler andere Sorgen, als Bauernpräsident Gerhard Sonnleitner glücklich zu machen: Es geht um völlig verunsicherte Verbraucher. Positivliste für erlaubte Futtermittel! Deklaration der Inhaltsstoffe! – ruft da auf einmal auch der Bauernminister.

„Funke ist zum radikalsten Verbraucherschützer geworden“, lästert der Grünen-Politiker Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, Chef des Agrarausschusses im Europaparlament. Das nehme dem Minister aber keiner mehr ab.

Baringdorf traut sich zwar nicht direkt Funkes Absetzung zu fordern („Das ist Kanzlersache“). Er schwelgt aber in Träumen von einem völlig anderen Landwirtschaftsmnisterium. Rot-Grün solle es nicht abschaffen, weil gerade für eine wirksame Vorsorge für gesunde Ernährungspolitik jetzt ein eigenes Ressort gebraucht werde – aber völlig neu ausgerichtet: „Es darf nicht wie unter Funke ein Arm der Agrarindustrie sein, sondern muss die Rechte der Verbraucher sichern.“ Baringdorf bringt seine Parteikollegin Bärbel Höhn, NRW-Landwirtschaftsministerin, ins Spiel. Die habe in ihrem Bundesland schon vor anderhalb Jahren 5.000 Tiere auf BSE testen lassen und Programme für artgerechte Tierhaltung nach vorne gebracht. „Anstelle die Auflösung zu fordern, sollten die Grünen sich für die Übernahme interessieren“, sagt der EU-Politiker. Erst einmal komplett neu stukturiert, könne das Ressort dann „vom Lobbyministerium zur Perle des Kabinetts werden.“GEORG LÖWISCH