: Blinzeln mit der CDU
Viele Neu-BürgerInnen beim Neujahrsempfang im Rathaus: Glückwünsche und Ratschläge für die Stadtspitze ■ Von Gernot Knödler
Am Ende des Defilees lässt das neue Einbürgerungsgesetz grüßen. Zwei Dutzend ausländisch aussehender Frauen und Männer schütteln dem Ersten Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) und seiner Stellvertreterin Krista Sager (GAL) die Hand. Im neuen Jahr können sie sie endlich wählen – oder auch nicht. Die Neu-BürgerInnen waren von der Ausländer-Beauftragten Ursula Neumann zum traditionellen Neujahrsempfang ins Rathaus eingeladen worden – eine Gelegenheit, sich per Ritual mit der neuen Rolle vertraut zu machen.
In der Schlange stehen Leute aus Osteuropa, Fernost und Afrika. Mahmud Dolatabadi zum Beispiel ist vor zehn Jahren aus dem Iran nach Hamburg gekommen. Dass seine 16jährige Tochter Media die Chance hatte, Softball-Nationalspielerin zu werden, war für die ganze Familie Anlass, einen Einbürgerungsantrag zu stellen. Drei Monate habe das Verfahren gedauert, erzählt Dolatabadi, der sich jetzt über seinen erweiterten Handlungsspielraum freut: „Man hat Möglichkeiten, neue Verantwortung zu übernehmen.“
Ali Marzloum aus Libanon ist seit sechs Monaten eingebürgert, nachdem er zuvor 13 Jahre hier gelebt hatte. „Ich liebe die Stadt Hamburg“, sagt der Kaufhaus-Detektiv und genießt es, das Rathaus mal von innen bewundern zu können. Sein Freund Martin Mounla hat den deutschen Pass schon seit elf Jahren. Ganz einfach sei es gewesen, versichert er.
Die Schar der Rathaus-Gäste ist in vielerlei Hinsicht bunt: Touristen aus Japan und Schwaben warten hinter alten Sozialdemokratinnen, Prominenten-Sammler neben Politik-Beratern. Beate Drechsel aus Murrhardt war schon im Phantom der Oper und will sich „so ein Erlebnis nicht entgehen lassen“. Die 84-jährige Hildegard Axnick besucht seit Jahrzehnten den Neujahrsempfang. Sie hat mit Max Brauer zu Mittag gegessen, mit Henning Voscherau getanzt und ihr Vater „war schon im vorigen Jahrhundert SPD“.
Ein junger Mann aus Nordrhein-Westfalen prahlt beim Handshake mit Runde damit, auch schon mit Johannes Rau „ein Bier getrunken“ zu haben. „Er ist darüber älter geworden, sie nicht“, bescheinigt ihm der Erste Bürgermeister trocken.
„Nächstes Jahr in Berlin – mit der CDU“, sagt ein alter Mann verschwörerisch zu Krista Sager, die ihn verständnislos ansieht. „... da wird geblinzelt“, fährt der Alte vielsagend fort. Woher er das weiß, bleibt sein Geheimnis.
Ein Mann übergibt Runde einen „Hilferuf von 1750 Rentnern“, ein anderer drückt die Daumen, „dass das gut geht mit dem Flugzeug“ und eine Frau wünscht Runde, er möge „weise Entscheidungen, keine politischen Entscheidungen“ treffen. Stoff zum Nachdenken für den Neujahrsspaziergang.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen