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Atomare Salamitaktik

Unbemerkt und nahezu gänzlich protestfrei bereitet die Schweizer Atomindustrie den Bau eines Endlagers für hoch radioaktive Abfälle am Bodensee vor

FREIBURG taz ■ Natürlich hat jeder beim Stichwort „Gorleben“ die entsprechende Assoziation parat. Aber Benken? Anders als in Deutschland haben es die Atomfirmen der Schweiz bislang geschafft, ihre Pläne zum Bau eines Endlagers für hoch radioaktive Abfälle voranzutreiben, ohne großen Aufruhr hervorzurufen. Während in Deutschland Großprotest und Gorleben fast schon Synonyme sind, wird in der Schweiz munter probegebohrt – zwei Kilometer hinter der deutschen Grenze, im Gebiet zwischen Bodensee und Basel.

Selbst im angrenzenden Baden-Württemberg sei der Ortsname Benken „beinahe unbekannt“, klagt Brigitte Dahlbender, Landesvorsitzende des BUND. Und Axel Mayer vom Regionalverband Südlicher Oberrhein sagt: „Hinter unserem Rücken entsteht langsam, aber sicher das Atomklo Hochrhein.“

Noch sei nichts entschieden, hält die Schweizer „Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle“ (Nagra) entgegen. Derzeit mache man nichts anderes als diesen potenziellen Standort zu untersuchen. Erst im nächsten Jahr, 2002 also, werde man dem Bundesrat der Schweiz einen Bericht übergeben, der die Qualitäten des Standortes bewerte. Die Politik habe dann über das weitere Vorgehen zu entscheiden. Nagra-Sprecherin Verena Schatzmann: „Die Entscheidung ist offen.“

„Die Nagra hat das Prinzip der Salamitaktik perfektioniert“, sagt BUND-Experte Mayer. Es würden „Entscheidungsschritte in viele kleine Zwischenschritte aufgelöst“. Indem die Nagra sich nicht frühzeitig offiziell auf einen Standort konzentriere, hoffe sie den Protest unter Kontrolle halten zu können. So werden auch noch zwei andere Standorte in der Schweiz formal diskutiert. Ernsthaft untersucht wird aber einzig bei Benken im Zürcher Weinland.

Der Standort ist der letzte Notnagel der schweizerischen Atomgemeinde, nachdem sich in 18 Jahren intensiver Suche immer mehr Orte als untauglich erwiesen haben. Eine fatale Geschichte: Ursprünglich wollte man den hoch radioaktiven Müll in Granit einlagern. Doch dann fand man keine geeigneten Granitformationen. Also wechselte die Nagra „über Nacht“, wie der BUND formuliert, zum Sedimentgestein und bohrt jetzt im Opalinuston nahe Schaffhausen. Dass der dem Granit ebenbürtig sein soll, bezweifeln viele. „Bei der Nagra bestimmt das Gestein das Bewusstsein“, klagt Mayer.

„Mit Sorge“ sieht auch der Kreistag des angrenzenden deutsche Landkreises Waldshut-Tiengen die Bestrebungen im Nachbarland. Eine „erhebliche Beeinträchtigung des Grundwassers“ sei zu befürchten, schrieb er jüngst in einer Resolution – und damit die Gefährdung des Trinkwassers. Zudem sei die Region durch den Transport des hoch radioaktiven Atommülls in Gefahr. Eine „umfassende Beteiligung der deutschen Seite“ fordert daher der Landkreis. Unbegründet, findet die Nagra, die deutsche Grenzregion sei bereits ausreichend in das Verfahren involviert. BERNWARD JANZING

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