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Unter Schlammspringern

■ Auch wenn das Universum nach einem Vierteljahr ziemlich lädiert ist, kann man spannende Entdeckungen machen / Empfehlungen zwischen Mangrovensumpf und Selbsterfahrung

Er ist das einzige lebende Tier im gesamten Universum, und das ist gewiss kein Vergnügen. Grund genug, den Schlammspringer, Familie der Periophthalmidae, einmal an prominenter Stelle zu präsentieren. Schließlich ist der Kleine, der ungefähr zwei Fischstäbchen lang ist, nicht nur ein „lebendes Fossil“ – und wer kann das schon von sich behaupten –, sondern auch ausgesprochen attraktiv.

Das liegt vor allem an den beiden Glubschaugen, die die Natur, Gott oder wer auch immmer auf der Oberseite des Schlammspringerschädels montiert hat. Mit ihnen überwacht unser Kandidat die Mangrovensümpfe, in denen er üblicherweise sein amphibisches Leben führt, späht nach Kleinkrebsen, Insekten et cetera. Im Universum Science Center hat man einigen der begabten Fische ein „Vivarium“ gebaut, in dem sie auf feuchten Steinen der Luftatmung frönen können, die Schwänze reglos im Wasser. Ab und zu jedoch macht eines der Tiere einen hysterischen Hüpfer.

Vermutlich ahnen die Schlammspringer, dass sie nur aus einem Grund aus den Tropen an die Weser versetzt wurden: Sie sind die Statisten im Schauspiel „Ein vernichtender Augenblick“, das im Universum gegeben wird. Neben dem Schlammspringerheim läuft permanent ein 7-Minuten-Katastrophen-Film, der den Niedergang der Saurier illustriert. Zwei Drittel aller Arten sollen vor 65 Millionen infolge Meteoritenbeschusses ausgestorben sein – den 400 Millionen Jahre alten Schlammspringer hat's nicht weiter irritiert. Heute ist er mit seinen praktischen Flossen-Armen ein „Zeuge für den Landgang“ der Wirbeltiere. Und das ist doch schon was.

Für Wirbeltiere, die nicht mehr auf Flossen, sondern auf zwei ordentlichen Menschenbeinen gehen, ihre Arme also frei haben zum Spielen, ist der Drehtisch an anderer Stelle eine gute Adresse: Das ist eine glatte, schnell routierende Metallplatte, etwa so groß wie ein runder Beistelltisch und von vier Banden umgeben. Eigentlich eine simple Installation, die zeigen soll, wie „zentrifugale“ Kräfte wirken, die im viel größeren, globalen Maßstab Meeresströmungen und Wetter beeinflussen. Und das geht so: Man setzt unterschiedlich große, farbige Kunststoffscheiben auf die Platte, die sich auf der Stelle in Bewegung setzen. Sie taumeln und tanzen, kollidieren, stehen auf der Stelle, verbeugen sich, torkeln oder fallen um.

Manche zischen eigensinnig über die ganze Platte und verabschieden sich aufs Festland. Andere legen sich dramatisch in die Kurve. Es gibt Wettrennen, Paarungen, Entzweiungen. Manchmal sind fünf, sechs Scheiben gleichzeitig unterwegs. Eine Art zentrifugales Ballett, simpel, aber unterhaltsam. Erwachsene müssen in die Knie gehen. Und spielen Wetterlenker, Weltenlenker. Und freuen sich drüber. Ein paar Meter weiter gibt es übrigens eine kleine Metallscheibe auf einem ebenso glatten, harten Teller, die kreiselt und kreiselt und kreiselt. Thema: Die Unendlichkeit als Konstrukt des menschlichen Geistes. Wir kreiseln weiter.

Und verharren vor dem Gong, um die „Bewegung des Klangs“ zu spüren. Groß wie ein ausgewachsener Esstisch ist er und an zwei Metallstrippen montiert, aber irgendwie höckerig dabei und so eigenartig oberflächenbehandelt, dass er auch von Playmobil gebacken sein könnte. Vielleicht müssen Gongs so aussehen. Aus welcher kraftspendenden Legierung das gute Stück besteht, erfährt man nicht. Auch das – sicherlich ehrfurchtseinflößende – Gewicht bleibt unbekannt. Geschenkt.

Denn alle zehn Minuten schlägt der aufsichtsführende Knabe mit einem gepolsterten Klöppel den Gong an, erst sanft, dann zunehmend fester. Und nur darauf kommt es an. Wer sich dann dicht hinter den Gong stellt und als Vibrationsverstärker auch noch einen Ballon zwischen den Händen hält, spürt, wie mächtig Schallwellen sein können. Das Universum versinkt im Grollen des Metalls, in das sich melodische, scheppernde, klingelnde Nebenlinien einlagern. Der Ballon vibriert wie elektrisiert. Der Gong ist nicht nur laut. Er ist – scheußliche Vokabel! – intensiv.

Auch wenn das Universum in erster Linie Stätte naturwissenschaftlichen Entertainments ist – es gibt auch Ecken und Winkel, in denen gewissermaßen lebensgeschichtliche Selbsterfahrungen möglich sind. Oder besser: Halbkugeln. In zweien dieser begehbaren Gebilde kann man sich auf eine „auditive Reise“ zurück in das zwanzigste Jahrhundert begeben. Mit Hilfe zweier Computer werden jeweils dreiminütige Toncollagen gestartet, denen die Ausstellungsplaner den Namen „moments of history“ gegeben haben. Das tönt nach billigem Roman, ist in Wirklichkeit jedoch eine ganz spannende Sache.

1975 beispielsweise. Sechs Jahre alt. Was war da? Kraftwerk, Baader-Meinhof, Botschaftssprengung, Frauen, die „Rotfront“ ins Mikro bellen. An was erinnert man sich wirklich, was hat sich nachträglich an Wissen dazugemogelt? Was bleibt fremd, was erkennt man wieder? Bilder tauchen auf, die man als Kind vielleicht in irgendeiner Illustrierten gesehn hat.

Weitergeklickt: 1981. Zwölf Jahre alt. Menschen reden über feministische Theologie, Kriegsrecht in Polen, das Papstattentat. Viel näher dann das Jahr 1985: Lady Di trägt ein pinkfarbenes Kostüm zum Antrittsbesuch, Boris Becker siegt zum ersten Mal in Wimbledon, Gorbatschow übernimmt die Macht. Ein Frank B. berichtet über den Fang seines Lebens, ein Hechtmonster von 1,50 Meter. Und Franz Beckenbauer sagt, er sei ein glücklicher Mensch.

Schlußbesuch: Eine Kammer, in der nichts ist, außer einem Stethoskop, das an einem Kabel von der Decke hängt. Man kann es sich an die Brust halten, und hört, elektrisch verstärkt, den eigenen Herzschlag. Mitten im Universum.

P.S.: Im Universum leben auch noch Ameisen!

Milko Haase

Universum Science Center Bremen, Wiener Straße 2, internet: www.universum.bremen.de ; Öffnungszeiten täglich von 10 - 19 Uhr, mittwochs 10 - 21 Uhr; Preise: 16 Mark (Erwachsene), ermäßigt 10 Mark, Kinder unter 6 Jahren frei.

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