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Gute Argumente für gute Geschäfte

■ Die praktizierende Bremer Philosophin Agnes Hümbs hat das Beratungsinstitut „Ethik Consult“ gegründet. Konzernbossen soll dort erklärt werden, dass ein bisschen Moral dem Umsatz nicht schaden muss

Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Zumindest wollen wir uns das gern glauben machen, weshalb wir jungen Menschen mit ausgeprägter Flunkerneigung erzählen: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“ – und dabei geflissentlich darüber hinwegsehen, dass in dieser Welt Menschen mit notorischer Wahrheitsallergie glänzende Karrieren als Ministerpräsidenten, Bundeskanzler, Baulöwen oder Fußballfunktionäre machen.

Moralisieren ist seit Menschengedenken ein schwieriges Geschäft, und nicht selten ist es gerade die Geschäftswelt, in der die Moral allenfalls dazu taugt, der Prosa des jährlichen Geschäftsberichts einen besinnlichen Anstrich zu verleihen. Für hauptberufliche MoralistInnen war das schon immer schwer zu ertragen, weshalb die Philosophiegeschichte von Augustinus über Machiavelli bis Kant immer wieder vermutet hat, dass die gesellschaftliche Funktionselite unbedingt der Weisheit aus den Studierzimmern bedürfe.

Agnes Hümbs vermutet das auch, weshalb die Bremer Philosophin vor einigen Monaten ein Institut für angewandte Philosophie gegründet hat. „Ethik Consult“ heißt es und will davon leben, dass Unternehmen Agnes Hümbs für die Lösung moralischer Konflikte im Betrieb bezahlen. Für manche mag diese Geschäftsidee den kürzesten Weg zum Konkursrichter markieren, denn welcher marxgeschulte Mensch wüsste nicht wortreich zu erläutern, dass Kapital und Moral sich so gut vertragen wie Boris und Babs. Doch so ist das halt: Die einen tragen Bedenken, die anderen tragen Risiken und versuchen, sich ihr Brot damit zu verdienen. In dieser Hinsicht ist Agnes Hümbs geradezu ein Risikoprofi.

Denn schon Anfang der 90er Jahre machte sie sich selbständig mit einer Idee, deren Marktgängigkeit kaum höher gelegen haben dürfte als beim „Ethik-Consult“-Projekt. Hümbs gründete im Frauenstadthaus Am Hulsberg Bremens erste „Philosophische Praxis“, weil die studierte Philosophin davon leben wollte, Philosophin zu sein. Ihr Angebot: philosophische Seminare und Lebensberatung abseits der Psycho-Schiene, Moderation einschlägiger Podiumsdiskussionen, aber etwa auch Schulungen von Frauen in Gesprächs- und Verhandlungsführung. Die Anfangszeit war hart, erzählt Hümbs, aber inzwischen kann sie von der Praxis ganz gut leben.

Ob „Ethik Consult“ ebenfalls ein Erfolg wird, hängt davon ab, wie realistisch die Hümbsche Weltwahrnehmung ist. Die 45-Jährige glaubt nämlich, dass es die öffentliche Meinung entgegen dem Kredo der MarxiologInnen nicht mehr toleriert, wenn Kapitalisten bloß ihre Interessen verfolgen und auf moralische Prinzipien keine Rücksicht nehmen. Ob im Streit um die Ölplattform Brent Spar des Shell Konzerns, die Zwangsarbeiterentschädigung oder die Kinderarbeit in der Dritten Welt – immer zeige sich, dass jene Firmen in die Kritik geraten, die moralische Standards missachten.

Was Hümbs dabei besonders stört: Bislang korrigieren die Unternehmen ihre Positionen erst dann, wenn der Imageschaden geschäftsschädigend zu werden droht. „Dabei kann man diesen Prozess im Sinne einer vorausschauenden Unternehmenspolitik auch umdrehen“, glaubt sie. Wie das funktionieren kann, will „Ethik Consult“ den Bossen erzählen. So soll bereits im Vorfeld einer Unternehmensentscheidung das öffentliche Konfliktpotenzial in den Blick geraten. Was sagen die UmweltschützerInnen, was die 3.-Welt-AktivistInnen, worauf reagiert die Presse oder die örtliche Bürgerinitiative besonders sensibel – wer all das früh genug weiß, der kann sich später teure Imagekampagnen („Wir haben verstanden.“) sparen.

Dieses Geld könnte stattdessen besser in öffentliche Hearings fließen, wo KritikerInnen und Konzernleitung ihre Interessen offen legen und nach einem akzeptablen Kompromiss suchen. Ein Forschungsprojekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) an der Oldenburger Uni, an dem Hümbs beteiligt ist, hat sie in der Überzeugung bestärkt, dass Ethik-Diskurse die Praktiken öffentlicher Konfliktaustragung maßgeblich bestimmen, auch wenn das in den Chefetagen der Konzerne nicht immer gewusst wird.

Nichtsdestotrotz: Hümbs Ansatz klingt ein wenig naiv, ein wenig nach praktizierter Habermas'scher Diskurstheorie, ein wenig nach Lebensideal Sysiphos, ein wenig nach PR-Management mit moralischem Anspruch. Agnes Hümbs weiß das. Aber sie weiß auch, dass eine Portion Naivität, ein Schuss Frustrationsresistenz, ein wenig letzt begründetes Orientierungswissen und die Bereitschaft zu Konzessionen auf allen Ebenen nötig sind, wenn etwas Neues ausprobiert werden soll. Immerhin: Ihre Arbeit für Non-Government-Organisations (NGO), die es geschafft haben, Großkonzernen Mindeststandards bei der Herstellung fair produzierter Kleidung abzutrotzen, haben sie darin bestärkt, auf die Macht des besseren Arguments zu vertrauen.

Mögliche Kunden hat sie auch schon im Blick: Über das Oldenburger DFG-Projekt hat sie bereits Kontakte zu Firmen geknüpft, die gegen ein paar ethische Consults im Prinzip nichts einzuwenden hätten. Keine ganz schlechten Aussichten also für die Unternehmerin Hümbs – vorausgesetzt, die Konzernbosse lügen nicht.

zott/Fotos: Michael Jungblut

„Ethik Consult“ hat seinen Sitz Am Bloher Forst 20, 26160 Bad Zwischenahn, Tel.: 0441/691 97 93 od. Tel.: 0173/741 51 59. Per Mail ist Agnes Hümbs ebenfalls zu erreichen: Agnes.Huembs@t-online.de , Internet: www.ethikconsult.de . Hümbs' „Philosophische Praxis“ findet sich Am Hulsberg 11, 28205 Bremen, Tel.: 498 41 18.

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