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Der Prager Fernsehsturz

Seit zehn Tagen halten Redakteure des tschechischen Fernsehens ihren Sender besetzt. Jetzt droht der Streit eine landesweite politische Krise auszulösen

aus Prag ULRIKE BRAUN

Das Gerangel um den öffentlich-rechtlichen tschechischen Fernsehsender Česká Televize (CT) eskaliert immer weiter. Seit Heiligabend rebellieren die Nachrichtenredakteure des Senders gegen die Ernennung des neuen Generalintendanten Jiří Hodáč und seiner Nachrichtenchefin Jana Bobošíková. Seit Heiligabend halten 50 protestierende Redakteure das Nachrichtengebäude des Senders besetzt und senden regelmäßig ein alternatives Fernseh- und Nachrichtenprogramm. Jetzt hat die Fernsehgewerkschaft dem Fernsehrat, der Hodáč ernannt hatte, ihr Misstrauen ausgedrückt und einen Streik ausgerufen.

„Wir wollen kein Bobo-TV“, so die Devise der Streikenden in Anspielung auf den Namen der frisch gebackenen Nachrichtenchefin, die einst als Beraterin von Václav Klaus tätig war und der man eine zu große Nähe zur Bürgerlich-Demokratischen Partei (ODS) vorwirft, deren Vorsitzender Klaus ist. Generalintendant Hodáč wiederum sei unfähig die politische Unabhängigkeit des Senders zu garantieren, so die rebellierenden Redakteure. Ihre Forderung: der sofortige Rücktritt von Hodáč und Bobošíková sowie eine Änderung des Gesetzes über das öffentlich-rechtliche Fernsehen, das den Politbonzen des Landes zu viel Macht über den Sender gibt. Sind es doch gerade die, die den allmächtigen Fernsehrat ernennen, der über Kommen und Gehen beim Sender entscheidet.

Begonnen hatte der nun eskalierende Streit am 12. Dezember als der bisherige Generalintendant Dusan Chmelíček nach nur knapp elf Monaten im Amt seine Kündigung erhielt. Die Kommunikation mit ihm habe nicht richtig funktioniert, war die einzige Erklärung für den plötzlichen Abgang. In der Rekordzeit von wenigen Stunden stand der Fernsehrat schon mit Hodáč als neuem Generalintendanten bereit. Die schnelle Entscheidung schien Kritiker zu bestätigen, die dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen schon lange eine zu große Staatsnähe vorgeworfen hatten.

Der Generalintendant und seine Nachrichtenchefin zeigen sich, trotz der anhaltenden Proteste und der allabendlichen Unterstützung, die Tausende von Tschechen den aufständischen Redakteuren vor dem Nachrichtengebäude kundtun, uneinsichtig: An Silvester ließ Hodáč den Nachrichtenraum, den die Redakteure besetzt halten, mit Sicherheitskräften abriegeln. Wer einmal draußen ist, kommt ab sofort nicht mehr rein.

Diese Maßnahme sollte die Rebellen in gewisse Nöte bringen, befinden sich doch die Toiletten außerhalb des Raumes, vor dem nun schwarz gekleidete Gorillas Wache schieben. Kurzerhand ließen sich die Besetzer transportable Toiletten sowie Essen und Trinken durch die Fenster des Gebäudes hieven. Auf die Solidarität ihrer Mitbürger können sie zählen. Die zeigt sich nicht nur in den abendlichen Demonstrationen. Nach einer Umfrage unterstützen 81 Prozent der Bevölkerung die Besetzer, Staatspräsident Václav Havel hat öffentlich seine Solidarität bekundet. Viele tragen ihre Sympathie für die Rebellen in Form einer rotweißen Manschette, den Farben des Senders, auf ihren Jacken. Eine Petition, die zur politischen Unabhängigkeit des Senders auffordert, haben schon rund 60.000 Leute unterzeichnet.

Die Flamme, die jetzt beim tschechischen Fernsehsender lodert, könnte sich schnell auf die gesamtpolitische Situation des Landes ausbreiten. Weitsichtige Politiker, wie Kulturminister Pavel Dostal und Umweltminister Miloš Kužvart befürchten, dass die Lage sich zu einer politischen Krise zuspitzen könnte. Seit über zwei Jahren wird das Land durch ein Tolerierungsabkommen zwischen der sozialdemokratischen Minderheitsregierung von Premier Miloš Zeman und der ODS regiert. Eine Opposition gab es praktisch nicht, bis sich die kleineren Parteien des Landes vor kurzem zur so genannten Viererkoalition zusammengeschlossen hatten.

Das Gerangel um den Sender ist nun schon von allen Seiten politisiert worden. Während die Sozialdemokraten bislang schweigen und die Viererkoalition sich den Forderungen der aufständischen Fernsehmacher angeschlossen haben, will die ODS siegreich aus dem Kampf hervorgehen, und das heißt, alles so lassen, wie es derzeit ist. Parlamentspräsident Václav Klaus rief in einem Acht-Punkte-Plan gestern alle Politiker des Landes dazu auf, sich in den Konflikt nicht einzumischen. Außerdem sollen die protestierenden Redakteure das Gebäude räumen, während Hodáč seine Versuche einstellen soll, einige Redakteure zu entlassen.

Die wahre Prüfung kommt heute Nachmittag: Um 17 Uhr ist eine Demonstration auf dem Wenzelsplatz angesagt. Schon sehen viele das Ende des Tolerierungsabkommens und vorgezogene Wahlen.

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