schnittplatz: Marketing, brandheiß
Am Donnerstag erscheint die Zeit. Das war schon immer so. Seit einigen Monaten geht dem Donnerstag aber kein Mittwoch voraus, an dem eben diese Zeit nicht mit tollen Vorab-Exklusivgeschichten Laune auf die nächste Ausgabe macht. Man kennt das ja vom Spiegel, und manchmal gibt es dann auch was wirklich Spannendes vorab zu berichten. Zum Beispiel, wenn ein Kultur- und Medienstaatsminister seinem Kanzler lange Nase zeigt und als Herausgeber zur Zeit geht.
Stand damals allerdings in der Woche.
Besagter Michael Naumann ist mittlerweile nicht nur Mitherausgeber, sondern auch Mitchefredakteur der Zeit, zusammen mit dem letzten Nordatlantiker aus der ganz großen Tradition, Josef Joffe.
Unter ihrer Regie enthüllt das Blatt nun, was die Welt zusammenhält. Miet-WCs unter anderem. „Mobile Toiletten retten Aufstand tschechischer Journalisten“, ließ die Zeit gestern vorab per Pressemitteilung verkünden, in der Silvesternacht hätte sonst keiner aus dem abgeriegelten Studiogebäude (siehe auch Beitrag auf dieser Seite) aufs Klo gedurft.
Kein Zweifel, dass Christian Schmidt-Häuers Reportage aus Prag heute ersprießlicher ausfällt. Derart krud-kreatives Marketing für das eher seriöse Wochenweltblatt wundert schon.
Vielleicht hätte ja ein Blick in Hermann Vaskes Epos „Die Zehn Gebote der Kreativität“ geholfen, am Dienstagabend auf Arte in atemberaubender Länge zu besichtigen. Oder wahrscheinlich auch nicht. Denn dort lavierte sich der vom erfolgreichen Werber zum Grimme-preisgekrönten Dokfilmer avancierte Vaske zwar durch 180 Minuten Zusammenhang von Kreativität und Kommerz, Markt und Mächtigen, Geld und Götzendienst. Heraus kam leider nicht allzuviel: Viele Menschen (darunter so bekannte wie der Dalai Lama, der auf die Frage, ob das Internet die neue Medien-Gottheit sei, ausnahmsweise mal platt mit „Ja“ antwortete) redeten knappe Allgemeinplätze und wurden deutsch synchronisiert. Dennis „Mose“ Hopper mimte den charmanten Rahmenhandler und wurde wie „Gott“ Peter Ustinov bloß untertitelt. Dazwischen gab’s eine Art Mini-„Cannes-Rolle“ mit passenden Werbespots. Und das Ganze blieb – lauwarm wie Bud. It’s true. STEFFEN GRIMBERG
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