: Ja, es geht um Inhalte
Wolfgang Gerhardt ist immer noch FDP-Parteichef. Doch Generalsekretär Westerwelle hat die Partei längst auf seine Linie gebracht: Entsolidarisierung
von BETTINA GAUS
Fernsehleute können ja so gemein sein. Von Journalisten begleitet, warb Wolfgang Gerhardt auf der sonnigen Ferieninsel Mallorca im Bundestagswahlkampf 1998 um Stimmen. Eine Kamera aber war nicht auf den FDP-Vorsitzenden gerichtet, sondern auf die deutschen Gäste eines Straßencafés. Die rätselten verwirrt, wer das wohl sein mag, der da gerade mit großem Tross spazierenging. Irgendein Promi, schon klar. Aber welcher? „Ich glaub, das ist ein Schauspieler“, sagte eine junge Frau.
Das hätte Guido Westerwelle nicht passieren können und auch nicht Jürgen Möllemann. Der eine wird sogar von den Machern der eher politikfernen Sendung „Big Brother“ für quotenträchtig gehalten; der andere durfte zu Recht darauf vertrauen, als Fallschirmspringer auf Gran Canaria auch ohne Entourage erkannt zu werden. Das Spiel mit den Medien beherrschen sie beide. Na und? Das genügt doch nicht! Glaubt Wolfgang Gerhardt. Oder zumindest behauptet er, das zu glauben.
Ohrfeige für den Rivalen
Der FDP-Vorsitzende meint, es werde künftig nicht reichen, „Themen medial zu inszenieren“ und „alles in einer großen Medienlandschaft zu servieren“. Der nächste Wahlkampf werde „nicht noch einmal mit Beleuchtertruppen und Schminkkoffern zu bestreiten sein“, warnt Gerhardt jetzt in einem Schreiben mit dem Titel „Agenda 2002“ die Funktionsträger seiner Partei. Noch einmal? Die Formulierung ist verräterisch – und kaum anders denn als indirekte Ohrfeige für die internen Rivalen zu verstehen. Das ist ein blindlings geführter Schlag, der ins Leere geht. Der noch immer amtierende FDP-Vorsitzende bemüht sich um den Eindruck, einer – nämlich er selbst – kümmere sich um die Inhalte, während andere die politische Arena zur drittklassigen Showbühne deklassierten. Die Realität sieht anders aus. Gerhardts lautester Kritiker, der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Jürgen Möllemann, zeigt allerdings tatsächlich kein großes Interesse an programmatischen Fragen. „Der Weg geht von Grundsatzorganisationen hin zu Wahlvereinen“, meinte er schon 1997 gegenüber der taz.
Nun hat Möllemann zwar in Nordrhein Westfalen eindrucksvolle 9,8 Prozent für seine Partei erkämpft, und er möchte auch zu gerne von ihr als – chancenloser – Kanzlerkandidat ins Rennen geschickt werden. Aber die wahre Gefahr droht Gerhardt schon längst von ganz anderer Seite: von seinem eigenen Generalsekretär.
Lange Jahre hinweg hat sich Guido Westerwelle öffentlich seinem Chef gegenüber loyal verhalten. Und dabei die FDP ebenso still wie konsequent auf seinen eigenen Kurs eingeschworen. Als Schaumschläger ist der quirlige, eloquente Senkrechtstarter oft bezeichnet worden. Verständlicherweise: Immer wieder einmal entdeckte er für seine Partei kurzlebige Themen und Parolen, die er wenig später ebenso schnell verwarf, wie er sie aufgebracht hatte.
Vorwiegend als Steuersenkungspartei wollte Westerwelle die FDP eine Zeitlang verstanden wissen. Später definierte er die Liberalen plötzlich als „soziale Demokraten“, entdeckte gar das Thema der inneren Sicherheit und machte ausgerechnet kurz vor den Bundestagswahlen mit der überraschenden Forderung von sich reden, Helmut Kohl möge nach seinem Sieg den Stab möglichst bald an Wolfgang Schäuble übergeben.
Was in der Öffentlichkeit gelegentlich für Verwirrung sorgte, ist in der eigenen Partei allerdings nie missverstanden worden. Es ist kein Zufall, dass der linke Flügel der FDP sich in der Vergangenheit sehr viel schärfer von Westerwelle als von Gerhardt abgegrenzt hat – und das, obwohl er doch treu zu einem Bündnis mit der Union steht, während sich der Generalsekretär inzwischen nach allen Seiten offen zeigt und sogar der 68er-Bewegung positive Seiten abzugewinnen vermag: „Gründlich durchgelüftet“ hätten diese „den gesellschaftspolitischen Mief der 50er-Jahre“, schrieb er als Herausgeber des 1997 erschienenen Buches „Von der Gefälligkeitspolitik zur Verantwortungsgesellschaft“.
In demselben Aufsatz formulierte Guido Westerwelle auch sein politisches Credo: „Während sich die 68er-Generation die Aufgabe der Demokratisierung von Staat und Gesellschaft gegeben hat, heißt heute die Aufgabe Privatisierung eines überbordenden Staates und Individualisierung leistungsunfähiger Kollektivsysteme.“ Und: „Die Vergesellschaftung persönlicher Risiken ist am Ende.“ Klare Worte. Westerwelle erteilt den Prinzipien der Solidargemeinschaft und der Forderung nach Fürsorgepflicht des Staates, die seit Bismarck im Kern unumstritten gewesen ist, eine unmissverständliche Absage. Der Grundsatz wird heute auch im Detail durchdekliniert: Fast beiläufig hat die FDP kürzlich beschlossen, zugleich mit der Wehrpflicht auch den Zivildienst entsorgen zu wollen. Im Falle einer Abschaffung der „Zwangsdienste“ wachse die Bereitschaft zu freiwilligem sozialem Engagement, hoffen die Vordenker. Und im Leitantrag wurde auch in diesem Zusammenhang auf das freie Spiel der Kräfte vertraut: „Gemeinnützigkeit und Markt schließen sich nicht aus.“
Erstaunliche Misserfolgsbilanz
Für diese Weltsicht steht Guido Westerwelle. Und wofür steht Wolfgang Gerhardt? Schwer zu sagen. Kritiker haben ihm bereits 1991 vorgeworfen, in den Jahren der Regierungsverantwortung nicht für ein eigenständiges Profil der FDP gesorgt zu haben. Damals war der heute 57-Jährige hessischer Landesvorsitzender seiner Partei, und er hatte gerade gemeinsam mit der CDU die Macht an eine rotgrüne Koalition verloren. Als er 1995 zum Bundesvorsitzenden der FDP gewählt wurde, werteten Leitartikler dies vor allem als Ausdruck des Wunsches seiner Partei nach Solidität.
Ganz sicher steht Gerhardt für Beharrlichkeit. Auch im Angesicht eigener Niederlagen. Kein anderer Parteivorsitzender hat so schwere Schlappen im eigenen Lager hinnehmen müssen wie er und ist dennoch im Amt geblieben. 1999 konnte er seinen Kandidaten für das Amt des Schatzmeisters nicht durchsetzen. Erfolglos blieb er mit seiner Werbung für die Unions-Kandidatin Dagmar Schipanski als Bundespräsidentin, für die eindeutige Ablehnung eines möglichen Bündnisses mit der SPD, für die Beibehaltung der Wehrpflicht – und sogar für die Aufkündigung der Koalition mit dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch.
Womit hat Wolfgang Gerhardt Erfolg gehabt? Wahlsiege der FDP werden jedenfalls nicht ihm, sondern anderen zugeschrieben. Findet der wahre Machtkampf also längst ganz woanders statt, nämlich zwischen Guido Westerwelle und Jürgen Möllemann? Kaum. Die beiden gehören demselben Landesverband an. Der Generalsekretär verfügt dort über eine eigene Hausmacht. Möllemann hingegen ist als Herausforderer von Gerhardt bereits 1995 einmal gescheitert: mit 33 zu 57 Prozent. Guido Westerwelle bekam damals übrigens als Generalsekretär 87 Prozent der Stimmen. Worauf wartet er eigentlich noch? Vielleicht sollte er einmal mit Wolfgang Schäuble reden. Über die Folgen, die es haben kann, wenn ein Kronprinz zu lange zaudert.
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