: Haushaltsmischung mit Schuss
■ Unentschlossenes, quasi-beschauliches Winterhude-Buch
Kampnagel – ein Zauberwort. Jedenfalls für jene, die immer und immer noch künstlerische Talente suchen; mancherlei Karriere hat hier begonnen. Und doch ist sogar in dem harmlosen Winterhude-Lexikon von Ulrike Sparr vermerkt, dass während des Zweiten Weltkriegs etliche Zwangsarbeiter in der Kampnagel-Rüstungsproduktion beschäftigt waren.
Winterhuder Begriffe von A bis Z sind versammelt in dem mit ältlichen Fotos und Grafiken versehenen Band, und wenn auch Eintragungen wie „Winterhude, Geschichte“ mit der ihnen gebührenden Bevölkerungszahlen- und Prozentsatzkenntnis daherkommen, gestalten sich manche Straßennamen-Erklärungen eher eigenartig. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass sich die Bezeichnung „New-York-Ring“ von der amerikanischen Stadt herleitet, während der Name „Blumenstraße“, so die Autorin, „keine tiefere Bedeutung“ hat? Die Straße „Bei der Matthäuskirche“ wiederum ist, so vermerkt akribisch das Buch, „nach der Lage benannt.“ Na sowas.
Aber das sind nur ausgewählte Anekdötchen in dem informativen Buch, das allerdings nicht sonderlich zur Widerlegung von Winderhude-Klischees taugt. „Eisenhans“ – eine Theatergruppe behinderter und nicht-behinderter Menschen – und ähnliche Begriffe finden sich dort aber auch, ebenso Persönlichkeiten wie die von den Nazis deportierte Hertha Feiner-Asmus. Auch zur City Nord weiß das Buch Kritisches anzumerken.
Doch ach! Arg vermischt wirkt das alles – und hier liegt vielleicht die Crux des Bandes: darin, dass es sich nicht entscheiden konnte, ob es lieber historisierendes Geschichtslexikon, Stadtteilführer für Zugereiste oder Leitfaden durch (ausgewählte) soziale Einrichtungen sein wollte.
Und so kommt es, dass man den Eindruck nicht los wird, dass ursprünglich an besinnlich-Historisches gedacht war und das Lektorat der Autorin dann nahelegte, ein oder zwei von den Nazis Deportierte einzufügen, auf die Zwangsarbeiter hinzuweisen und die Anonymen Alkoholiker aufzunehmen. Denn zu den beschaulichen Fotos und Grafiken passen solche Begriffe nicht, auch nicht zu den ausführlichen Abhandlungen über Dorfkneipen und Freiwillige Feuerwehr. Ganz herzig sind allerdings Geschichtchen wie das vom Vogt Timmermann, der 1865 die Eröffnung einer weiteren Schenke ablehnte, weil „die Knechte und Arbeitsleute zu Trunksucht und Faulheit verführt werden könnten“. Mensch, gut, dass der das damals verhindert hat! Petra Schellen
Ulrike Sparr: Winterhude von A-Z. Das Stadtteillexikon, Medien-Verlag-Schubert, Hamburg, 96 S., 29,80 Mark
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