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Den Folterern auf der Spur

■ Türkischer Arzt und Menschenrechtler appelliert an die deutschen Politiker: Abgeschobene Flüchtlinge werden gefoltert

Menschen wie der türkische Mediziner Veli Lök verdienen besonderen Respekt. Das betonten ges-tern auch Bürgermeister Henning Scherf (SPD) und Vertreter von Amnesty International, als sie vor rund hundert BesucherInnen die Ausstellung „Die Menschenwürde ist unantastbar“ in der Unteren Rathaushalle eröffneten. Denn der türkische Arzt, Prof. Dr. Veli Lök, ist nicht nur einer der Pioniere im medizinischen Nachweis von Folterspuren. Seine Arbeit ist für die Überlebenden oft die einzige Handhabe für eine mögliche Strafverfolgung der Täter. Veli Löks Arbeit in Bremens Partnerstadt Izmir, wo er 1990 zu den Gründungsmitgliedern der Menschenrechtsstiftung gehörte und wo er seit 1991 eines von fünf türkischen Zentren der Menschenrechtsstiftung (MRS) leitet, hat ihn auch selbst schon zur Zielscheibe gemacht.

„Die Zentren für Folteropfer in der Türkei werden ständig unter Druck gesetzt“, berichtete Lök ges-tern. Er selbst wurde im vergangenen Sommer zu einer einmonatigen – später in eine Geldstrafe umgewandelten – Haftstrafe verurteilt, nachdem er die Verhaftung und Misshandlung von Ärzten angeprangert hatte. Amnesty International verlangt seither die Aufhebung des Urteils – unter Verweis auf das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung.

Vor dem Bremer Publikum bedankte Lök sich zugleich für die Einladung. „Folter soll den Menschen vereinsamen. Dagegen wirkt die Solidarität von Amnesty International.“ Ausstellungen über Folter wie jetzt in der Unteren Rathaushalle in Bremen müssten in Izmir immer wieder mit Hilfe von Anwälten durchgesetzt werden.

In seiner Rede machte der türkische Mediziner deutlich, dass nach seinen Erfahrungen Izmir keinesfalls als sicherer inländischer Fluchtort für Minderheiten und Verfolgte in der Türkei gelten kann. Allein im vergangenen Jahr suchten 138 Personen das Folterzentrum in Izmir auf. Darunter fünf Kinder, das jüngste fünf Jahre alt, sowie 49 Frauen und 84 Männer. „90 Prozent der Menschen, die unsere Hilfe suchen, sind politisch verfolgt“, sagt er. Zwar behandle sein Zentrum dank der finanziellen Unterstützung der Vereinten Nationen, des Europarats und des Roten Kreuzes jeden kostenlos, doch nähmen gefolterte Straftäter die Hilfe weniger in Anspruch. Ausdrücklich wies Lök darauf hin, dass seine Stiftung verschiedene Fälle belegen kann, in denen aus Deutschland nach einer Asylablehnung abgeschobene Personen in der Türkei gefoltert wurden. „Die Deutsche Politik muss diese Verhältnisse zur Kenntniss nehmen und entsprechend handeln“, mahnte er. Unter den europäischen Ländern, die Flüchtlinge aus der Türkei aufnehmen, sei Österreich bislang das einzige, das selbst medizinische Nachweise über erlittene Folterungen von Asylbewerbern erstelle.

Die Methoden der medizinischen Beweisführung sind vor allem verfeinerte Röntgenaufnahmen. Mit ihrer Hilfe lassen sich Gewebeveränderungen, etwa nach dem Auspeitschen der Fußsohlen oder auch nach Hodenquetschungen, oft noch nach Jahren belegen. Dies sei bedeutsam geworden, weil türkische Rechtsmediziner den Überlebenden selten Folterungen attestieren. Die „alternativen Diagnoseberichte“ werden – in den wenigen Fällen, in denen Opfer sich trauen – unter anderem beim Europäischen Gerichtshof als Beweis im Prozess gegen Folterer zugelassen. ede

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