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Zwischen Wadi und Karmel

Auf dem Karmel wohnen die reichen Juden – unten im Wadi die armen Palästinenser. Wochenlang gingen keine Juden hinunter, nun kommen sie wieder

aus Haifa ANTJE BAUER

Durch die Gassen des Wadis Nisnas schieben sich Menschenmengen. Es wird Hebräisch gesprochen und Arabisch, auch ein wenig Russisch ist gelegentlich zu hören. Die palästinensischen Gemüseverkäufer haben ihre Stände bis auf den Bürgersteig ausgedehnt, in den engen arabischen Restaurants stehen die Schlangen bis an die Tür. Auf einer kleinen Bühne spielt eine Musikgruppe hebräische und arabische Lieder. Kinder bemalen sich und kleine Pappmasken mit Fingerfarben.

Vier Wochen lang wird hier im Wadi Nisnas, dem arabischen Altstadtviertel von Haifa, jeden Samstag Lifemusik auf der Straße gespielt, sind Jongleure und Zauberer unterwegs. Dazu stellen 100 arabische und jüdische Künstler im Viertel ihre Werke aus: Auf dem Flachdach eines Häuschens steht ein himmelblauer Halbmond, von einem Holzgerüst stiert eine Giraffe auf die Passanten herab. An vielen Mauern sind noch die ausgebleichten Kunstwerke der vergangenen Jahre zu sehen.

Seit sieben Jahren schon findet dieses Volksfest statt, organisiert vom Beit Hagefen, dem arabisch-jüdischen Zentrum, einer Einrichtung der Stadt. „Holiday of Holidays“ heißt es, das größte aller Feste, und diesmal sollte es besonders großartig werden, denn Weihnachten, der Eid al-Fitr, der krönende Abschluss des Ramadan, und Chanukka, das Lichterfest der Juden, fielen zeitlich zusammen.

Trotz Angst zum Fest

Es wurde ein besonderes Fest. Doch anders als geplant.

„Wir haben vorher Witze gemacht, ob vielleicht eine Bombe hochgeht. Aber dann sind wir doch hergekommen“, sagt Ayala, eine Jüdin Anfang fünfzig, die mit Mann und Tochter hier spazieren geht. „Man macht sich etwas Sorgen, aber wir hoffen, dass sich die Lage normalisiert“, sagt ihr Mann Mosche. Die beiden verschwinden wieder im Gewühl. „Es wird nie wieder so werden wie zuvor“, sagt dagegen eine Palästinenserin, die auf einem Poller sitzt und der Musikgruppe lauscht. „Das ist wie Glas: Wenn es einmal zerbrochen ist, wird es nie wieder ganz.“

Am 1. Oktober, zwei Tage nach dem Ausbruch der Al-Aksa-Intifada, wurde an zahlreichen Orten in Israel demonstriert. Israels Palästinenser protestierten damit gegen das Vorgehen der israelischen Armee, die in den autonomen Gebieten mehrere Palästinenser erschossen hatte. Auch in Haifa demonstrierten die Araber, zum Entsetzen der israelischen Öffentlichkeit. „Die Presse schrie auf“, erinnert sich Mordechai Peri, der Direktor des Beit Hagefen. „Haifa!! Das war eine Nachricht der Art: Mann beißt Hund.“

Denn Haifa gilt in Israel als Musterbeispiel für ein friedliches Zusammenleben zwischen Juden und Arabern. Zwar bestehen hier dieselben sozialen Unterschiede wie in ganz Israel: Im ärmsten Viertel, dem Wadi Nisnas, unten am Fuß des Karmelberges gelegen, sind die Straßen eng, die Häuser niedrig und schmal und Grünflächen Fehlanzeige. Hier leben nur Palästinenser. Oben auf dem Karmelberg liegt der reichste Teil der Stadt, mit Einkaufszentren, teuren Hotels und Luxusapartments. Dort leben fast nur Juden. Doch in den Vierteln am Hang, locker gebauten Wohnblocks mit Gärten drumherum, dort wohnen Juden und Araber Tür an Tür. Walid Karkabi etwa hat sich hochgearbeitet. Sein Vater, ein strammer Kommunist, hatte ihn zum Studium in die Sowjetunion geschickt. Walid war als Architekt zurückgekehrt. Während seine Familie noch im Wadi Nisnas lebt, wohnt er in einem großzügigen Haus am Hang. „In den vergangenen fünf bis zehn Jahren sind immer mehr Araber in jüdische Viertel gezogen“, meint er. „Und das ist einzigartig in Israel. Es ist undenkbar, dass Araber etwa von Jaffa nach Tel Aviv ziehen würden.“

Auch die Stadtverwaltung bemüht sich, die sozialen Unterschiede zu mindern. „Der Großteil unserer Steuereinnahmen stammt aus den reichen Vierteln auf dem Karmel, aber wir geben das meiste Geld für das Wadi Nisnas aus“, versichert Bürgermeister Amram Mitzna von der Arbeiterpartei. So wurden in den letzten zwei Jahren nicht nur die Straßen im Wadi ausgebessert und die Kanalisation erneuert. Es wurde auch eine neue öffentliche Schule für arabische Kinder gebaut, um die Benachteiligung der finanzschwachen Familien auszugleichen, die ihren Nachwuchs nicht auf teure Privatschulen schicken können. „Wir versuchen, den Graben zwischen den arabischen und den jüdischen Gemeinden zu schließen. Dennoch muss man auch hier ständig wachsam sein, damit aus kleinen Problemen keine großen werden“, sagt Bürgermeister Amram Mitzna.

Während bei den Protestdemonstrationen der israelischen Palästinenser 13 Demonstranten erschossen wurden, war Haifa erneut ein Sonderfall: Hier kam es nicht zu Toten. Denn Bürgermeister Mitzna, ein ehemaliger General, der sich noch bei der ersten Intifada einen schlechten Namen gemacht hat, hielt die israelischen Soldaten auf Distanz und beruhigte die aufgebrachten Demonstranten. „Ich hörte von der Demonstration und ging dorthin, ins Wadi Nisnas, und die Leute waren derart erstaunt, dass ich mich ohne Polizeieskorte unter sie wagte, dass sie mit mir diskutierten, statt weiter Steine zu werfen“, erinnert sich Mitzna. „Stundenlang haben wir miteinander gestritten.“

Heftige Debatten

Auch danach wurde das Streiten fortgesetzt. Drei Tage nach der Demonstration organisierte Peter Sinai, der frisch bestallte Direktor des Haifa Theaters, ein Podiumsgespräch in seinem Haus, zu dem er jüdische und arabische Intellektuelle und Künstler einlud. Es war die Zeit, in der die hebräische Presse Bilder und Namen der jüdischen Opfer der Intifada publizierte. Die viel zahlreicheren palästinensischen Opfer hingegen blieben ungenannt. „Zu Beginn der Veranstaltung lasen wir die Namen aller Toten vor, das waren zu dem Zeitpunkt drei Juden und mehr als 60 Palästinenser, und alle erhoben sich für eine Gedenkminute“, sagt der 46-jährige Peter Sinai.

Die israelische Presse machte daraus einen Skandal. Fragte, wieso man in Haifa für palästinensische Terroristen aufstehe. Die anschließende Debatte sei sehr heftig gewesen und habe alle Beteiligten sehr aufgewühlt. Noch mal zwei Wochen später organisierte das Beit Hagefen zusammen mit der Stadtverwaltung ein großes Essen im Wadi Nisnas, dem Ursprungsort der Demonstration. Die arabischen Einwohner spendeten Geld oder Lebensmittel, in der israelischen Presse wurde nach Haifa gerufen, und dann tafelten tausend Personen auf der Straße im Wadi Nisnas. „Wie am 14. Juli in Paris“, sagt Mordechai Peri, Direktor von Beit Hagefen.

Schock für Liberale

Doch so unbeschwert wie in Paris war es wohl doch nicht. Die Intifada und die Solidaritätsdemonstration in Haifa haben alte Gräben aufgerissen. Wochenlang kamen keine Juden mehr ins Wadi, um dort einzukaufen und zu bummeln. Die dortigen arabischen Kleinhändler machten Verluste. „Als hier diese Dinge geschahen, haben viele Leute zu Sabotage aufgerufen. Man sollte den Markt im Wadi meiden, um sie zu bestrafen“, meint Sinai. „Dass Araber dort unten es gewagt haben, ihre volle Solidarität mit den Palästinensern offen zu zeigen, war für viele Juden ein Schock, selbst für die Liberalen.“

Die Palästinenser ihrerseits spürten erneut, dass sie andere Israelis sind als die Juden. „Ich fühle mich ein wenig schizophren“, gibt Walid Karkabi zu. „Wir leben hier, es geht uns sehr gut, und gleichzeitig sind wir Teil der gegnerischen Seite, die Israel bekämpft. Das ist sehr schwierig.“

Walids 74 Jahre alter Vater Zahi Karkabi, der Kommunist, ging in den vergangenen Wochen jeden Tag im Wadi spazieren, um zu sehen, ob die Juden wieder kamen. „Jetzt, zum Festival, sind sie wieder hier“, sagt er beruhigt. „Es normalisiert sich wieder. Wir wollen ein friedliches Miteinander.“

Hoffen auf Frieden

An Toni Ashkar sind die Auseinandersetzungen weitgehend spurlos vorbeigegangen. „Dieses Problem ist für beide Seiten schwierig, für die Palästinenser wie für die Juden“, meint er leidenschaftslos. Der Vierzigjährige hat einige Jahre in Deutschland und Holland in der Fabrik gearbeitet. Nun betreibt er in seinem Geburtshaus im Wadi Nisnas einen Antiquitätenladen. In der angeschlossenen Werkstatt repariert er alte Möbel. Die meisten seiner Kunden sind „Jekkes“, Juden aus Deutschland oder Österreich. Sie bringen ihre alten Wiener Thonetstühle zu ihm, damit er das Rohrgeflecht erneuert. In den Glasschränken seines Geschäfts liegt altes Silberbesteck aus Europa. In seiner Werkstatt hängen große Ölbilder der alten arabischen Notablen von Haifa. „Irgendwann einmal möchte ich eine Ausstellung mit diesen Bildern machen“, träumt er. „Denn ich kenne alle diese Leute ja noch.“ Wann immer man zu Ashkar kommt, sitzen um seinen Tisch einige Besucher, Juden oder Palästinenser, und unterhalten sich, während er Mokka aus einer Thermoskanne nachschenkt. „Hier leben die Leute schon lange zusammen“, erklärt er. „Türken waren hier, im vergangenen Jahrhundert sind Deutsche hergekommen, die Engländer waren hier, und alle haben sie zusammengelebt. Deshalb ist Haifa anders.“

Nicht alle teilen freilich seine Hoffnung, dass der Graben zwischen Juden und Palästinensern bald wieder geschlossen sein wird. Mordechai Peri, von Berufs wegen mit dem Zusammenleben von Arabern und Juden befasst, setzt alle Hoffnung auf einen Friedensvertrag: „Ich hoffe, es wird ein Abkommen geschlossen. Wenn nicht – wer weiß, was dann passiert.“

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