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Orchester auf dem Bildschirm

Zimmer um Zimmer, Raum um Raum: In den Büros der ehemaligen Staatsbank wird Alexander Mossolows Kammeroper „Der Held“ als „begehbare Installation“ aufgeführt

In Zimmer 2050 residiert Herr Kühn. So entnehmen wir es dem Türschildchen. Er sitzt in seinem leer geräumten Büro an einem kleinen Schreibtisch und schnippelt aus einem Ikea-Katalog Bildchen von Sitzmöbeln aus. Jedes Einzelne trägt er behutsam ins Nachbarzimmer und klebt es dort an die Wand. Ab und an unterbricht er seine Tätigkeit und macht Tai-Chi-Übungen nach Lehrbuch. Im Bürozimmer nebenan sitzt Herr de la Paz-Zaëns und starrt lange in ein Goldfischglas. Dann blubbert die Kaffeemaschine, und er brüht sich einen frischen Kamillentee damit.

Zimmer um Zimmer zieht die Karawane der Zuschauer durch die Büros in der dritten Etage der ehemaligen Staatsbank und begafft diese merkwürdigen, bisweilen singenden Bürobewohner. Das Gebäude hat den morbiden Charme der untergegangenen Macht. Ob Vorhangstoff oder Wandtapete: Hier existiert die DDR, wenn auch nur rudimentär, noch im Originalzustand. Und auch die Klamotten der Akteure stammen ganz sicher aus VEB-Betrieben (Kostüme Ines Colmorgen). Das ergibt zusammen eine amüsante Tristesse, gerade so, als hätte mal wieder Anna Viehbrock für Christoph Marthaler ein Bühnenbild gezaubert. Mit dem Unterschied allerdings, dass sich die Produktion der Sophiensäle für diese Uraufführung an einen authentischen Ort begeben hat.

Das Orchester Generation Berlin spielt unter der Leitung von Christian von Borries die 1928 entstandene Kammeroper des Russen Alexander Mossolow „Der Held“. Ein Fremder kommt in die Stadt und wird unverhofft bei einem Duell zum Helden, weil der als unbesiegbar geltende Fechtmeister sich aus Todessehnsucht selbst ins Schwert stürzt. Den Komponisten nennt hierzulande fast niemand, seine Biografie ist derart tragisch-bewegt und abenteuerlich, dass sie geradezu perfekt die Brüche und Widersprüche seiner Zeit zu spiegeln scheint. Mossolow war zunächst begeisterter Anhänger der Oktoberrevolution, lieferte als Komponist zunächst avantgardistische Werke im Zeichen des Futurismus, wurde verbannt und schrieb später angepasste Sowjet- und Volksmusik. Das Frühwerk gilt als verschollen.

„Der Held“, seine fast archetypisch anmutende Legende, sollte ursprünglich bei den Festspielen in Baden-Baden uraufgeführt werden, doch die Noten kamen nicht rechtzeitig an. Mossolows Komposition arbeitet mit einer farbigen, modernen Harmonik im Stile Schostakowitschs, die den Hörer gleichwohl nicht überfordert. Anstelle dogmatischer Kompromisslosigkeit in der Kompositionstechnik bietet er stattdessen einen durchaus sinnlichen Hörgenuss.

Beate Heine und Markus Strieder haben für die späte Wiederentdeckung ein kleines, in vielerlei Hinsicht bemerkenswertes und originelles Event geschaffen, das erst nach und nach seine originellen Finten, Doppelbödigkeiten und Irritierungen der Zuschauer offenbart. Ihre Inszenierung nennen sie „Begehbare Operninstallation“. Die Akteure verrichten in den Amtsstuben ihre bisweilen absurden, beamtischen Tätigkeiten. Sie gießen die Alpenveilchen, lesen im Kicker oder tippen auf einer alten „Gabriele“ von Adler mit schwachem Farbband das Libretto ab und singen jeweils ihren Part. Auf Fernsehbildschirmen sehen und hören wir das Orchester, das im Lichthof der Staatsbank spielt. Die Sicht hinab in den Hof ist aber von Fluren rund um das Atrium nicht möglich. Die Frage, ob die Musiker wirklich dort unten sitzen oder wir nur eine Videoaufzeichnung auf den Bildschirmen hören und sehen, beantwortet sich erst am Ende beim Verlassen der Veranstaltung. Dann dürfen wir den Saal im Erdgeschoss betreten. Die Stühle der Musiker und die Notenständer sind ebenso leer wie die CD-Aufnahme der Oper, deren Empfang wir Zuschauer bei der Abholung ganz ordnungsgemäß quittieren müssen. Mossolow bleibt also auch nach dieser Uraufführung eine Leerstelle in der Musikgeschichte.

AXEL SCHOCK

Täglich bis 12. 1., ab 21 Uhr, Staatsbank, Französische Str. 35, Mitte

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