piwik no script img

Die merkwürdige Stille nach dem Shot

Christian Petzold stellt heute im Abaton seinen Film „Die innere Sicherheit“ vor  ■ Von Christiane Müller-Lobeck

Es ist die Geschichte eines Stillstands, inszeniert als Geschichte einer permanenten Bewegung: ein Roadmovie. Das Leben „in einer Art Geschichtsstille“ wollte Christian Petzold verfilmen; seine Figuren aber müssen sich darin bewegen, denn sie sind auf der Flucht. Bewegen können sie schon lange nichts mehr, außer sich selbst.

Das Exposé zum Drehbuch für Die innere Sicherheit schrieb Petzold bereits während seines Studiums an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin, bevor er es später mit Harun Farocki ausarbeitete. Inspiriert hat ihn dazu 1993 die Erschießung des RAF-Mitglieds Wolfgang Grams in Bad Kleinen. Petzold war „erstaunt darüber, dass man in den Neunzigern zwei Menschen auf einem Bahnhof zusammenschießt. Dann las ich von einem Liebeslied, das der später erschossene Wolfgang Grams für Birgit Hogefeld geschrieben hat. Das war für mich wie eine Nachricht aus dem Untergrund und ich hatte das Gefühl, dass sich diese politische ruinierten Gespenster noch mal erden wollten“.

Petzolds Film erzählt von einem deutschen Paar, das seit 15 Jahren im Untergrund lebt, versteckt in Portugal – erzählt aus der Perspektive ihrer pubertierenden Tochter Jeanne. Die Eltern stehen kurz davor, alle Papiere für einen sicheren Aufenthalt in Brasilien zusammenzubekommen, da nötigt sie ein Zwischenfall zur Flucht. Die führt sie schließlich nach Deutschland, auf der Suche nach Freunden, die ihnen helfen, und nach Geld, das sie weiterbringen könnte.

Doch vor allem in Deutschland sind sie noch immer Gesuchte, gezwungen sich zu verstecken, und helfen mag ihnen nur einer, der Verleger Klaus. Der jedoch wird von der Polizei beobachtet und kurz darauf in einer der üblichen überdimensionierten Aktionen mit Sondereinsatzkommando und allem Tamtam festgenommen. Zu all dem haben die beiden „Ehemaligen“ auch noch Probleme mit ihrer Tochter, denn die hat sich in Hamburg, wohin die Flucht schließlich führte, endgültig in einen Knaben verliebt, den sie bereits an portugiesischen Stränden begehrte, den Surfer Heinrich. Die Versuche der Tochter, mit dem deutschen Alltag in Kontakt zu kommen, stellen ein permanentes Sicherheitsrisiko für die Gesuchten dar. Der deutsche Junge übrigens wird gespielt von Bilge Bingül, was soviel wie eine kleine Revolution im Castingverhalten deutscher Produktionen ist, kann man sich doch angeblich „den Kanaken nimmer aus der Fresse wischen“.

Die innere Sicherheit ist die Geschichte eines Ermessens: Ermessen werden soll allerdings nicht die Geschichte des bewaffneten Kampfes in Deutschland, sondern die der staatlichen Reaktionen auf ihre Akteure, die sich trotz diverser Aufgabeerklärungen, sei es von der RAF oder von den RZ, in den letzten Jahrzehnten allenfalls durch das technische Niveau der Verfolgung verändert haben. Darüber hinaus werden die menschlichen Reaktionen der Protagonisten des bewaffneten Kampfes erwogen. Die Erfahrungen mit ihnen hat der 39-jährige Regisseur durch die Figur der Jeanne Fleisch werden lassen. Die Kamera nähert sich all dem mit der nötigen Bedächtigkeit, auch im Schnitt folgt der Film nicht der schnellen Dramaturgie der staatlichen Überaufgeregtheit. Vielmehr ahmt er mit der Statik seiner Techniken den behaupteten Geschichtsstillstand nach.

Michael Althen halluzinierte während der Filmfestspiele in Venedig für die Süddeutsche Zeitung, „natürlich lebt der ganze Film davon, wie die ganz gegenwärtigen Träume des Mädchens konfrontiert werden mit den verblassten Utopien der Eltern.“ Er tut es nicht. Denn von den Utopien der Eltern ist hier so wenig die Rede, wie in Heinrich Breloers Todesspiel oder Volker Schlöndorffs Die Stille nach dem Schuss, geschweige denn, dass sie zur Diskussion gestellt würden. Diesen Stillstand den zahlreichen Filmemachern allein anzulasten, die sich in den letzten Jahren dem Thema „bewaffneter Kampf“ genähert haben, wäre allerdings blödsinnig. Er hat ebenso zu tun mit dem eigentümlichen Schweigen der ehemaligen Militanten, einem Schweigen, das umso lauter wird, je mehr über die jeweiligen Einzelschicksale, über bloß individuelle Entscheidungen gesprochen, geschrieben – und gefilmt wird.

Premiere in Anwesenheit des Regisseurs und der Hauptdarsteller heute, 20 Uhr, Abaton

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen