Hoffnung auf juristische Rendite

Kleinanleger, die sich nach den jüngsten Börsenpleiten am neuen Markt geprellt fühlen, streben Klagen auf Schadenersatz an. Experten und Anwälte, die juristisches Neuland betreten, fordern schleunigst eine Reformierung des deutschen Rechtssystems

von NICK REIMER

Täglich kommen zwanzig neue hinzu. Auf „einige tausend“ beziffert der Müncher Rechtsanwalt Klaus Rotter inzwischen die Hilferufe von geprellten Kleinanlegern. Informatec, Gigabell, Cybernet oder Metabox – nachdem sich die einstigen Börsenwunder des neuen Marktes in nicht satt werdende Geldfressmaschinen verwandelten, hoffen Anleger jetzt wenigstens auf eine juristische Rendite: Schadenersatz.

Für Anwalt Rotter kein hoffnungsloses Unterfangen. Der auf Aktienrecht spezialisierte Jurist sieht neben Verstößen gegen Aktien-, Börsen- und Wertpapierhandelsgesetz auch Hebel dank des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb. Auch der Paragraf 826 BGB sei relavant, sagt Klaus Rotter. „Dieser sieht eine Schadenersatzverpflichtung vor, wenn eine vorsätzliche sittenwidrige Täuschung zum eigenen Vorteil erfolgte.“ Reinhild Keitel von der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre sagt: „Auch wir prüfen Klagemöglichkeiten.“ Allerdings ist sich Keitel nicht so siegessicher. „Wir begeben uns auf juristisches Neuland, zivilrechtliche Ersatzansprüche werden angesichts der deutschen Rechtslage nur schwer durchsetzbar sein.“ Derartige Klagen stützten sich nur auf Indizien.

Keine große Hoffnung

Keitel führt ein Beispiel auf: „Ein Unternehmensvorstand prophezeit sagenhafte Gewinne, die dann nicht eintreffen. Wie will der gutgläubige Aktienkäufer beweisen, dass die Gewinnprognose eine sittenwidrige Täuschung war?“ Keitel warnt davor, geprellten Anlegern leichtfertige Hoffnungen auf Schadenersatz zu machen.

Das will auch Andreas Tilp nicht. In der schwäbischen Kanzlei Tilp & Kälberer liefen Schadenersatzforderungen von zehn Millionen Mark gegen EM.TV auf. Tilp sieht zwei Ansätze gegen EM.TV: In einer Pflichtmitteilung an die Börse sei im Oktober von einem Gewinn vor Steuern in Höhe von 560 Millionen Mark die Rede gewesen. „Nur sechs Wochen später wurde der auf 50 Millionen korrigiert“, sagt Tilp. Zum anderen habe der Vorstand nach der Kapitalerhöhung im Oktober 1999 die vorgeschriebene Haltefrist eigener Anteile nicht befolgt und vorfristig verkauft – für 100 Millionen Mark. Die Kanzlei sucht eine außergerichtliche Lösung. Tilp: „Eine Kuh, die Milch geben soll, können sie nicht schlachten.“

Klage in den USA

Schwieriger dürfte der Fall bei der Jenenser Intershop liegen. Die Bundesaufsicht für den Wertpapierhandel sieht keinerlei Pflichtverletzung des Unternehmens. „Wir haben die Umsatz- und Gewinnwarnungsmitteilungen geprüft und keinerlei Mängel festgestellt“, erklärte Christian Pawlik von der Aufsichtsbehörde. Nach dem Wertpapierhandelsgesetz sind Unternehmen verpflichtet, unverzüglich kursrelevante Informationen zu veröffentlichen.

Anwalt Rotter teilt die Einschätzung der Börsenaufsicht. „Wir prüfen allerdings, ob wir eine Klage in den USA einreichen.“ Dort seien die Gesetze viel strenger als hierzulande, das Klageprocedere hingegen viel leichter. Anders als in Deutschland sind Unternehmen in Amerika gezwungen, Beweise vorzulegen, Anwälte arbeiten auf reiner Erfolgsbasis. Und weil Intershop auch in San Francisco einen Sitz hat und an der New Yorker Technologiebörse Nasdaq notiert ist, sind die amerikanischen Gerichte zuständig – „auch für deutsche Anleger, die in Deutschland gekauft haben“, sagt Rotter. Dennoch dämpft der Müncher Anwalt die Hoffnungen: „Die Rechtsauffassungen der Bundesgerichte können erheblich voneinander abweichen.“

In jedem Falle muss in Deutschland schnell ein besserer Rechtsschutz für die Anleger her. Klaus Rotter: „Im Moment läuft das bei uns wie einst im Wilden Westen.“