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: Jahrhundertübergreifende Gestaltungsprobleme

Menschen am Sonntag

Das neue Jahr ist noch keine zwei Wochen alt und schon kritzelt man irgendwie herzlos selbstverständlich 2001 neben Unterschriften auf Banküberweisungen. Neue Trends aufzuspüren wäre verfrüht. Vielleicht ist es an der Zeit, sich alter Fragestellungen, ungelöster Rätsel zu entsinnen. Das schöne Thema „Probleme, die andere gern hätten“ bietet sich da an. Das Sonntagsproblem zum Bespiel ist nur Arbeitslosen und unterforderten freiberuflich Tätigen vorbehalten.

„Wer hat das Wochenende erfunden, die ganze Menschheit ist dadurch geschunden“, sangen schon die frühen Tocotronic. „Ach Bello, ach Bello das ganze Jahr sollt Sonntag sein“, singt dagegen eine glückliche Wahlfamilie in einem Sechzigerjahre-Spielfilm mit folgender Handlung: Feiner Mensch von Mann nimmt sich alleinerziehender Mutter mit Hund an und fährt die ganze Bagage sonntags in seinem VW-Käfer spazieren. Zwischen diesen beiden gesanglichen Annäherungen ans Wochenende tut sich unser Problemfeld auf. Wollen wir uns zunächst darauf einigen, dass der Sonntag der schlimmste Tag der Woche ist.

Von seltenen gesellschaftlichen Ereignissen einmal abgesehen, ist der Samstag inzwischen der blödeste Ausgehtag, und mit dem langen komatösen Schlafen will es tags drauf nicht so recht klappen. Wer kurz nach Mitternacht ins Bett geht, dem tun ab ein Uhr mittags die Knochen vom langen Liegen weh. Das ist ein trauriges Naturgesetz, da hilft kein Drehen und kein Wenden. Da muss man aufstehen. Aber wohin mit dem leidigen Selbst? Nicht einmal öffentlich Kaffee trinken und Zeitung lesen kann man, weil jede Kneipe sonntags zum Szenefrühstückcafé mutiert.

Einen fernen Sommer lang ging man sonntags ins „Yaam“, ließ sich von jungen Eltern den hässlichen Nachwuchs vorführen oder beobachtete angeekelt frisch Verliebte, die in Strandkörben lagerten und sich gegenseitig in sanfter Shiatsu-Massage die Augenbrauen nachzeichneten. „Pfui Spinne, Berlin!“, konnte man da nur mit Joachim Ringelnatz ausrufen und den Ort des Schreckens fortan meiden. In Kinderzeiten war der Sonntag durch „Die kleinen Strolche“, „Lassie“, „Bonanza“ und „Flipper“ klar strukturiert und gerettet. Aber 2001 kann die „Lindenstraße“ mit ihrem Atomtransportskandal und dem ohne Bewährung verurteilten Momo kaum noch Sinn in unseren Sonntag gießen.

Im alten Kitty-Yo-Büro in der Torstraße kann man jetzt Sonntag nachmittags Kaffee trinken und Kuchen essen und manchmal legen Musiker, die sowieso ständig auftreten, Platten auf. Ob das eine Lösung ist?

Zum Glück aber gibt es die vielen Bahnhöfe in unserer Stadt, die keinen Sonntag kennen. Ein kurzer Fußweg der Spree entlang zum Ostbahnhof zum Beispiel täuscht körperliche Leistungsbereitschaft vor und gibt Einblick in die jüngste Architekturgeschichte der Stadt. In kalter Pracht liegen das Hotel Ibis und das Intercity Hotel da. Im Bahnhof geschäftiges Treiben. Die bemerkenswerten Auslagen der Billigketten, Sprachengewirr und der Geruch verkohlter Rostbratwürste lassen die Sinne aufleben. Und nach solch einem Sonntagsspaziergang freut man sich sogar wieder auf die Lindenstraße.

CHRISTIANE RÖSINGER