Ein Bayer in Paris

Frankreichs Staatspräsident Jaques Chirac ehrt Edmund Stoiber (CSU) mit ganz besonderer Aufmerksamkeit

PARIS taz ■ In Bayern mag der Ministerpräsident der erste Mann sein. In Paris ist Edmund Stoiber (CSU) den Medien nicht einmal eine Kurzmeldung wert. Immerhin empfing der oberste Franzose, Jacques Chirac, den kleinen Landesfürsten am Mittwoch für „eineinhalb Stunden zu einem grundsätzlichen Gespräch“, wie Letzterer stolz mitteilte. Auch drei sozialistische Minister öffneten dem Christsozialen die Türe. Mit allen sprach er – als wäre er ein offizieller Repräsentant der Bundesrepublik – über die großen Politikthemen: von Rinderwahn über den Nizza-Gipfel bis hin zur EU-Osterweiterung.

Audienzen beim französischen Staatspräsidenten sind gewöhnlich ein Privileg von Staats- und Regierungschefs. Regionalpolitiker müssen mit niederrangigen Gesprächspartnern vorlieb nehmen. Dass Chirac für Stoiber eine Ausnahme machte, gilt mehr dem mutmaßlichen künftigen Kanzlerkandidaten als dem Bayern. Es gilt auch Stoibers europapolitischen Vorstellungen, die sich nicht nur in Euro-Fragen von jenen der Regierung in Berlin unterscheiden. Stoiber teilte abends mit: „Es wurde hier bemerkt, dass ich die Ergebnisse von Nizza in Deutschland alles in allem positiv bewertet habe.“ Auch seine Neigung zu einem „Europa der Nationen“ werde in Paris geteilt, meinte er, sowie seine Einschätzung, die Osterweiterung sei „unterfinanziert“.

Überhaupt zeigte sich Stoiber überzeugt davon, dass er mit dem französischen Staatschef auf einer Linie liege. Besonders in jener Frage, die nicht nur in Bayern gegenwärtig fast alle anderen Themen überragt: BSE. „Er beurteilt das genauso wie ich“, sagte Stoiber über Chirac.

Laut Stoiber sprachen sie sich beide dafür aus, das gegenwärtig auf sechs Monate befristete Verfütterungsverbot von Tiermehl zu „entfristen“. Beide waren sich – im Gegensatz zu Schröder – auch einig, dass die finanziellen Mittel zu diesem Zweck aufgestockt werden müssen. Und beide beschlossen eine franco-bayerische Forschungszusammenarbeit in Sachen BSE-Bekämpfung.

Für den Neogaullisten Chirac dient der privilegierte Kontakt zu Stoiber der Wiederbelebung der zuletzt ein wenig verkümmerten Beziehungen zu den deutschen Konservativen. Dass Stoiber in Frankreich gelegentlich als „deutscher Haider“ bezeichnet wird, als Repräsentant einer Politik also, die Chirac im vergangenen Jahr an vorderster Stelle zu sanktionieren suchte, geriet darüber in Vergessenheit. Für Stoiber umgekehrt ist der große Empfang in Paris eine Empfehlung für seine weitere politische Karriere – in Deutschland und in der Gemengelage zwischen CDU und CSU.

Am Tag nach Stoiber reiste gestern der gegenwärtige deutsche Vizekanzler Fischer in Paris an. Dort nahm er am Abschiedsdinner für US-Außenministerin Albright teil und bereitete mit Außenminister Védrine den außerplanmäßigen deutsch-französischen Gipfel am Monatsende in Straßburg vor, bei dem die jüngsten Verstimmungen im bilateralen Verhältnis bei einem Sauerkrautmahl geklärt werden sollen. Ein Rendezvous mit Staatspräsident Chirac hatte Fischer gestern in Paris nicht.

DOROTHEA HAHN