piwik no script img

Hongkongs eiserne Lady

Mit Anson Chan tritt Hongkongs beliebteste Politikerin und stellvertretende Regierungschefin zurück

von SVEN HANSEN

Als die britische Kronkolonie Hongkong in der Nacht zum 1. Juli 1997 an China zurückgegeben wurde, saßen bei der offiziellen Zeremonie die Repräsentanten der Volksrepublik und Hongkongs neuer Regierungschef von Pekings Gnaden links, die Vertreter des Königreichs samt ihres scheidenden Gouverneurs rechts. Zwischen beiden Blöcken klaffte eine Lücke, über der in der letzten Reihe eine zierliche Frau im roten Kleid thronte. Als wollte sie sich keiner Seite zuordnen lassen, saß Anson Chan hier allein und demonstrierte als Chefin der Hongkonger Verwaltung Eigenständigkeit und Kontinuität zugleich. Denn Chan stand nicht nur den 200.000 Beamten der Stadt vor, sondern war als politische Beamtin die Stellvertreterin des britischen Gouverneurs und behielt diesen Posten auch unter dem neuen von China eingesetzten Regierungschef.

Chan galt in Pekings Augen als pro-britisch, doch sollte das Verbleiben der beliebtesten Politikerin der Stadt in ihrem Amt die Sorgen vor einem zu großem Einfluss der Kommunisten lindern. Gestern kündigte sie nun überraschend für Ende April ihren Rücktritt an – angeblich aus familiären Gründen, was aber niemand glaubt. Denn Chan hatte erst im vergangenen Jahr zugestimmt, bis zum Ende der ersten Amtszeit ihres Chefs Tung Che-hwa 2002 ebenfalls im Amt zu bleiben. Zwar war Chan immer eine loyale Beamtin, doch war es ein offenes Geheimnis, dass sie mit dem Peking-hörigen und oft glücklosen Tung Meinungsverschiedenheiten hatte. Das ging so weit, dass Chan im September von einem Vertreter Pekings aufgefordert wurde, Tung stärker zu unterstützen, als dessen Beliebtheit bedrohlich absackte. Viele Hongkonger hätten lieber Chan als Regierungschefin gehabt, und ihr wurden auch entsprechende Ambitionen nachgesagt. Doch Peking will für Tung eine weitere Amtszeit. Eine offene Herausforderung hätte nicht nur Chans loyalem Stil widersprochen, sondern wäre auch chancenlos angesichts der 800 Wahlmänner und -frauen, die Peking nicht zu widersprechen pflegen.

Chans Beliebtheit erklärt sich aus ihrem Charme, ihrem Sachverstand und ihrer Prinzipienfestigkeit gegenüber Peking, aufgrund derer sie Newsweek 1997 treffend als „eiserne Lady“ bezeichnete. Chans Rücktritt löste unter den Demokraten der Stadt Sorgen aus, dass Hongkongs Autonomie künftig weniger stark vertreten werden könnte. Den Aktienmarkt beeindruckte der Rücktritt aber nicht, denn Chans Nachfolger soll der bisherige Finanzsekretär werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen