Munter fließen am Biertisch die Quellen

Bei den Frankfurter Alt-Spontis treten sich die Journalisten auf die Zehen. Bloß weil Aust Augstein Zucker geben will?

FRANKFURT taz ■ „Lass mich in Ruhe mit dem alten Scheiß!“, brüllt ein renommierter Frankfurter Rechtsanwalt morgens nach dem sechsten Anruf ins Telefon. Andere sind nur noch per Anrufbeantworter und E-Mail erreichbar oder im Urlaub. Omerta, Gesetz des Schweigens, wie der Spiegel in der vergangenen Woche vermutete? Nein, wohl eher Überdruss in der ehemaligen Frankfurter Sponti-Szene. Alle, aber auch alle Medien, angesehene wie sensationslüsterne, tummeln sich seit Wochen auf dem Parkett am Main und recherchieren, dass die Schwarte kracht, sammeln Namen, grasen Anwaltskanzleien ab, stolpern unausweichlich übereinander, lösen Ärger, aber auch Gelächter aus: „Was, bei dir war der noch nicht?“ Die Gerüchteküche kocht, jeder kennt jeden, alte Bekannte, bei unterschiedlichen Medien in Lohn und Brot, umkreisen sich. Journalisten schöpfen sich mangels authentischer Masse an der Quelle Biertisch gegenseitig ab. Jeder weiß, dass der eine nur eines will: wissen, was der andere weiß.

Die Fotos von Fischer sind von der einstigen Straßenschlacht zum gegenwärtigen Medienkrieg geworden. Ausgelöst wurde der Ende November 1999 von Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust, heißt es aus dem Spiegel-Haus. Die Order: „In Frankfurt jeden Stein umdrehen!“ Die Hamburger Zentrale ließ anreisen, besuchte mit und ohne Türöffner ehemalige und noch-linke Weggefährten von Fischer. Der Autor Heipe Weiß, der 1979 das Buch des in Frankreich untergetauchten Exterroristen Hans-Joachim Klein redigierte, erinnert sich säuerlich. Es sei ihm sei gesagt worden, es gehe darum, Klein zu helfen.

Hausintern soll es anders geheißen haben. Chefredakteur Stefan Aust habe sich nach mehreren Krächen mit dem schwer kranken Herausgeber Rudolf Augstein in anderer Sache genötigt gesehen, dem Verleger ein Stück nach dessen Herzen zu liefern: „Augstein hält Fischer für einen Lumpen und Proleten.“ Und dann habe Aust in Westernmanier losgelegt, als wolle er „dem Alten“ den Kopf von Alfredo García bringen. Fischer aber preschte seinerseits vor, gab dem Stern präventiv ein Interview über seine Zeit im Frankfurter Häuserkampf, schloss nicht aus, dass er der Mann auf dem Foto sein könne. Der Spiegel klappte nach.

Und brachte Kollegen im Hessischen Rundfunk auf, weil herauskam, dass die Journalistin Bettina Röhl für ihre manische Recherche gegen Fischer auch ARD-Material zur Verfügung hatte, das von dem Journalisten Christoph Maria Fröhder aus der hessischen Landesanstalt produziert worden war. Der HR suchte die Filme. Aust stand unter Verdacht: „Der hat früher schon öfter was ausgeliehen und gerne vergessen, dafür das Honorar zu zahlen.“ Muss er in diesem Fall nicht. Der Film gehört tatsächlich der ARD. Da Bettina Röhl auch für Spiegel-TV arbeitete, kursierte in Hamburg währenddessen auch die Vermutung, Aust habe Bettina Röhl die Filme erst zugespielt: „Der hatte einen Narren an der kleinen Röhl gefressen.“ Stefan Aust hatte die beiden Meinhof-Töchter Bettina und Regine Röhl 1970 aus Sizilien nach Deutschland zurückgeholt. Dorthin waren sie, als Kinder der Mutter im Kampf gegen den Imperialismus im Wege, abgeschoben worden.

Röhl hatte Fischer auch beschuldigt, 1976 bei einer Demonstration zum Tod von Ulrike Meinhof zumindest zum Werfen von Molotow-Cocktails aufgerufen zu haben. Damals war ein Polizist durch einen Brandsatz lebensgefährlich verletzt worden. Fischer war festgenommen, aber schnell wieder aus der Haft entlassen worden.

In der Hoffnung, Fischer möglichst doch noch den einen oder anderen eigenhändig geworfenen Molotow-Cocktail oder wenigstens die Schuld daran nachweisen zu können, suchen nun Journalistenscharen zwecks Interviews in Frankfurt und in aller Welt nach den damals 13 zusammen mit Fischer Festgenommenen oder sonst irgendwie Involvierten. Ein Ende der Schlacht ist vorerst nicht abzusehen. Gestern legte Röhl in „Panorama“ mit einer neuen Zeugin nach. Die im Ausland lebende Elisabeth H. berichtete, sie habe sich als Bewohnerin eines besetzten Hauses gegen das Ansinnen Fischers und anderer verwahrt, das Haus bei Räumung mit Molotow-Cocktails zu verteidigen. Ihr Versuch, diese in Unkenntnis der aktuellen Debatte in Deutschland gemachte Aussage wieder zurückzunehmen und die Sendung zu verhindern, kam zu spät. HEI