Die Aufrechte kommt

Claudia Roth (45), die zehn Jahre Mitglied des Europaparlaments war, hat Erfahrung vor allem in Fragen der Menschenrechtspolitik

BERLIN taz ■ Die Moral ist ihr Gebiet. Mitmenschlichkeit, Gerechtigkeitssinn, das bringt Claudia Roth überzeugend rüber – weil sie selbst daran glaubt. Die Kandidatin für den grünen Parteivorsitz verkörpert „Authentizität“, wie es so schön heißt. Wie weit man heute in der grünen Politik noch damit kommt, wird sich nun erweisen.

Die 45-jährige Claudia Roth gilt als Vertreterin des linken Flügels der Grünen, was gegenwärtig jedoch weniger ein Programm ist, sondern eher eine Art des emotionalen Auftritts. Bei Menschenrechtsthemen fiel es ihr leicht, die moralisch „gute“ Position zu beziehen: Roth kämpfte gegen Abschiebungen, für mehr Menschenwürde in der Altenpflege, für das Grundrecht auf Asyl, gegen Bürgschaften für Atomkraftwerke in China.

Zehn Jahre lang war Roth Mitglied des Europaparlaments und dort auch Fraktionsvorsitzende der Grünen. Seit 1998 sitzt sie im Bundestag, ist dort Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte und wirkte im Arbeitskreis für Rüstungskontrollrichtlinien mit. Die Bürger- und Menschenrechte bleiben ihr Thema: Ohne die Grünen hätte es kein neues Staatsbürgerschaftsrecht und keine eingetragenen Lebenspartnerschaften gegeben, betonte die ledige künftige Parteichefin gestern. Sie wolle deutlich machen, dass „unsere alten Werte ganz modern sind“.

Mit ihrer Emotionalität soll sie die Basis der Grünen wieder stärker an die Partei binden, jene Grünen-Anhänger also, die über der Professionalität der grünen Politstars den Glauben an die ideelle Ausrichtung der Partei verloren haben. Dass man für „Authentizität“ auch eine möglichst große Bühne braucht, ist Roth durchaus klar. Die gebürtige Ulmerin mit der fernsehtauglichen Rhetorik arbeitete früher als Theaterdramaturgin und Managerin der Rockband Ton Steine Scherben.

Die Zusammenarbeit mit dem Grünen-Chef Fritz Kuhn, der als Realo gilt, stellt sich Roth „kooperativ und integrativ“ vor. Schon als Bundestagsabgeordnete hat sie allzu harte Konflikte mit der Fraktionsspitze vermieden. Sie unterschrieb zwar zusammen mit Bärbel Höhn und anderen einen Aufruf zum sofortigen Angriffsstop im Kosovo. Ihr Verhältnis zu Joschka Fischer wurde dadurch aber nicht irreversibel belastet.

Insider befürchten bei aller Hochschätzung eine „monothematische“ Ausrichtung der auf Menschen- und Bürgerrechtsfragen spezialisierten Politikerin. Schließlich stehen künftig auch noch so wichtige Themen wie Bioethik und Sozialpolitik an. Der Wahlkampf 2002 wird bald beginnen. Roth muss an der Seite des Realos Fritz Kuhn überzeugend rüberbringen, dass die Grünen nach wie vor für die „bessere Sache“ stehen. BARBARA DRIBBUSCH