no depression – ein jahresrückblick
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von KARL WEGMANN

In den großen Lautsprechern lärmen die Waco Brothers und behaupten: „It’s not enough“. Heute ist der große Tag: Judgement Day! Alle sind da und ganz fickerig, nur Konscho fehlt noch. Als er endlich auftaucht, fragt er mit seinem typisch griechischen Charme: „Bin ich zu spät?“ – „Ungefähr dreieinhalb Bier“, mault Hermann. „Kein Problem“, winkt Konscho ab, „das hol ich leicht wieder auf.“

Dann fängt Willy an: „Wir sind hier, um die besten Genussmittel und Unterhaltungsprodukte des abgelaufenen Jahres zu küren, und das jetzt schon zum 21. Mal. Okay, fangen wir an, Prost! Erste Frage: Das beste Bier des letzten Jahres?“ Kurze Debatte, dann siegt wie immer das tschechische Budweiser vor dem deutschen Veltins. Bei den harten Sachen gewinnt Macallan Single Malt vor Highland Park. Sieger bei den Cocktails ist der Alexander No. 2, aber streng nach dem Rezept von Charles Schumann. Beim Wein gibt’s wieder den üblichen Krach und keinen eindeutigen Sieger. Immerhin bekommt der Badische Spätburgunder zwei von fünf Punkten. Bei der Küche gewinnt diesmal die indonesische vier zu eins. Der beste Nachtisch 2000 wird eindeutig die Herrencreme. So nimmt der Abend ebenso diszipliniert wie feucht seinen Lauf.

Nachdem wir mit der ersten Runde durch sind, erhebt Willy sich wieder, schiebt irgendetwas von den „Jayhawks“ in den CD-Spieler und verkündet mit leicht ondulierter Stimme: „Also, bevor wir jetzt zu den illegalen Genussmitteln kommen, haben wir noch die Unterhaltung abzuarbeiten.“ Kronkorken werden weggesprengt, und es geht wieder in die Ruderbank: Der beste Roman wird „Kein Kinderspiel“ von Dennis Lehane. Sachbuch des Jahres ist „Modern Twang – An Alternative Country Music Guide & Directory“. „Moment mal“, stört Hermann, „hatten wir das nicht schon im letzten Jahr?“ Willy blättert kurz und gibt Entwarnung: „Nee, da hatten wir ,No Depression – An Introduction to Alternative Country Music‘“. Allgemeines Aufatmen. Bei der Platte des Jahres kommt es dann zum Eklat. Johnny Cash bekommt für „Solitary Man“ zwei Stimmen, und Ryan Adams für „Heartbreaker“ ebenfalls. Alle schauen Bernd an, und der sagt knochentrocken: „ ‚La Boheme‘, und zwar die Aufnahme mit dem Israel Philharmonic Orchestra unter Zubin Mehta mit Andrea Bocelli als Rodolfo und Barbara Frittoli als Mimi.“ Ungläubiges Entsetzen. Bernd zuckt mit den Schultern und meint: „Ich habe mich halt weiterentwickelt.“

Angesichts dieser Provokation entwickelt sich eine heftige Diskussion, die mit dem Beschluss endet, dass italienische Opern nicht zulässig sind. „Na gut“, sagt Bernd, „dann nehm ich eben die Neue vom Wu-Tang Clan.“ – „Der hat doch die Pfanne heiß“, poltert Konscho. Hermann sagt scheinbar ganz ruhig: „Ich dachte, deine HipHop-Phase ist seit zehn Jahren vorbei?“ Worauf Bernd antwortet: „Der Mensch ändert sich doch ständig.“ Danach ist kein Halten mehr und es wird richtig übel. Der Abend endet schließlich mit der völligen Vernichtung von Willys gut bestückter Hausbar und den Waco Brothers in Endlosschleife.