: Ein pazifischer Tutanchamun
Die Bundeskunsthalle in Bonn zeigt Goldschätze aus der Vor-Inka-Kultur der Moche. Nach der Rückkehr will die peruanische Regierung das Erbe in einem eigens errichteten Museum unterbringen
von GISA FUNCK
Wenzel Jacob kommt von den Indianern Südamerikas nicht mehr los. Bereits im letzten Jahr widmete sich die von ihm geleitete Bundeskunsthalle in Bonn den Ureinwohnern Venezuelas und den Orinoko-Entdeckungsfahrten Alexander von Humboldts. Mit „Gold aus dem alten Peru“ steht diesmal das antike Volk der Moche (gesprochen: „Motsche“) auf dem Programm – immerhin die archäologische Sensation des transatlantischen Kontinents.
Bis 1987 war Peru Europäern vor allem als Herkunftsland der Inka bekannt. Doch dann brachte der Zufallsfund des Archäologen Walter Alva erstmals eine Vor-Inka-Kultur ins öffentliche Blickfeld. Damals war Alva in das kleine Dorf Sipán gereist, um Grabplünderungen zu begutachten – für peruanische Archäologen von jeher eine traurige Notwendigkeit. „Die armen Bauern“, erzählt Alva, „werden dazu verleitet, die Gräber ihrer Vorfahren auszurauben, um den unersättlichen Kunst- und Sammlermarkt in Europa und Amerika zu bedienen.“ Der Ort im kargen Nordwesten wurde regelrecht von einem Grabungsfieber heimgesucht: Sipán, urteilte ein Spiegel-Reporter 1995, sehe mit seinen vielen Erdlöchern aus „wie nach einem Bombenattentat“.
Doch Alva kam den Plünderern zuvor. Die Grabkammer eines Moche-Fürsten, die sein Team freilegte, war noch unbeschädigt. Und schnell wurde der unter seiner Leitung geborgene „Señor von Sipán“ – auf Grund der Fülle und Kunstfertigkeit seiner Goldbeigaben – als „peruanischer Tutanchamun“ gehandelt.
Gleich nach ihrer Restaurierung im Römisch-Germanischen Museum von Mainz gingen die Fundstücke auf Ausstellungstour um die Welt. Insofern waren einige der präsentierten 200 Goldobjekte schon einmal vor elf Jahren in Bonn zu sehen. Zunächst aber erblickt der Besucher 50 Keramikgefäße auf einem rostbraunen Kubus, Leihgaben deutscher Museen, die tatsächlich mehr über den Alltag der Moche aussagen als das titelspendende Gold. Als „Leitfossil der Archäologen“, wie Kurator Anton Ferdinand es nennt, dienen die Tonexponate je nach Henkelform der Wissenschaft dazu, die schriftlose Kultur in fünf Phasen zu unterteilen. „Das Besondere an ihnen ist“, erklärt Ferdinand, „dass sie auch dem kleinen Mann ein Gesicht geben.“
Neben Göttern und Fürsten sieht man auf den Objekten Bettler, Fischer oder einen Kranken mit zerfressener Nase, dazu kopulierende Paare, einen masturbierenden Mann, eine Hebamme, wie sie gerade ein Kind aus dem Bauch einer Gebärenden zieht. Realistisch, oft drastisch, wirken die Motive, die man lesen kann wie ein Geschichtsbuch.
Demnach handelte es sich bei den Moche um eine hierarchisch gegliederte Klassengesellschaft. Mit Gebietern, die ihre Macht von göttlicher Herkunft ableiteten und für ihre Untergebenen, das bezeugen viele Kampfszenen, einen Schutzauftrag übernahmen. Ihr Reichtum gründete sich auf ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem, durch das sie den Wüstenstreifen vor der Pazifikküste fruchtbar machten. Zweimal im Jahr konnten die Moche so Mais, Bohnen und Erdnüsse ernten. Sie jagten Fische und Robben und erreichten dank ausgewogener Ernährung mit durchschnittlich 35 bis 40 Jahren ein für die Epoche hohes Lebensalter. Schon 1.200 Jahre vor den Inkas bauten sie riesige Pyramiden aus sonnengetrocknetem Lehm. Und anders als bei den späteren Söhnen der Sonne zeigt ihre Kunst eine Vielzahl von Dämonen.
Wie alle alten Völker glaubten die Moche an überirdische Kräfte und ein Leben nach dem Tod. Verstorbene hatten in ihrer Mythologie als Mittler zwischen Diesseits und Jenseits eine wichtige Funktion. Ein Würdenträger wie der Señor von Sipán starb von daher nicht allein. Drei Männer und drei Frauen, ein Kleinkind und ein Wächter begleiteten ihn als Opfertote, dazu zwei Lamas und ein Hund. Der Herr sollte sich im Totenreich wohl fühlen – und bei den Göttern ein gutes Wort für die Verbliebenen einlegen. Warum die Moche im achten Jahrhundert plötzlich untergegangen sind, ist bislang ungeklärt. Waren es Erd- und Seebeben, wie der Nordamerikaner Michael Morsley vermutet? Oder das Erstarken des Chimu-Volkes im Süden?
In Bonn ist die Grabkammer von Sipán noch mal nachgebaut, die Schmuckstücke bestechen in den Glasvitrinen durch ihre Detailgenauigkeit. Laut Regierungsbeschluss soll der Schatz nach seiner Rückkehr „das Land nie wieder verlassen“ – und in einem eigens errichteten Museum untergebracht werden. Nachdem sie Jahrhunderte lang als minderwertig abgetan wurde, besinnt sich Peru neuerdings auf seine Vor-Inka-Geschichte, wenngleich einmal mehr in Abhängigkeit vom Westen. Erst Fördergelder aus der Schweiz und Deutschland machten den Bau des Sipán-Museums möglich.
„Gold aus dem Alten Peru – Die Königsgräber von Sipán“, bis 29. 4., Bundeskunsthalle Bonn; Katalog 49 DM
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