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Zwischen Verdecken und Entblößen

Filme zur Judenvernichtung: Ein Längsschnitt im Metropolis  ■ Von Christiane Müller-Lobeck

Länger noch als in der Literatur hat sich das Verbot, die Vernichtung der europäischen Juden zu fiktionalisieren, im Film gehalten. Alain Resnais' frühe essayistische Dokumentation Nacht und Nebel galt lange als einer der wenigen gangbaren Wege einer Darstellung des Undarstellbaren. Kein Film, der nicht lange und heftige Debatten nach sich gezogen hätte.

Später war es Claude Lanzmanns Shoah, an dem sich jede filmische Thematisierung des Holocaust zu messen hatte. Was verdeckt, was legt die jeweilige filmische Behandlung offen von dem Unfassbaren der Judenvernichtung? Inzwischen, so scheint es, sind alle Skrupel gefallen und immer mehr Filmemacher trauen sich an das Thema heran.

Die Rede von der Unfassbarkeit des Holocaust ist immer auch ein Hindernis gewesen dafür, sehr fass-baren Teil-Erklärungen auf den Grund zu gehen und die Kontinuitäten dessen, was „das“ erst möglich gemacht hat, hierzulande aufzuspüren. Begleitend zu der dieses Jahr in Hamburg stattfindenden Jahrestagung der Arbeitsgruppe Kinematografie des Holocaust sind ab Donnerstag im Metropolis acht Dokumentar- und Spielfilme zu sehen, die die Judenvernichtung, das politische Umfeld, die Vorgeschichte und die Folgen thematisieren.

Die Vorgeschichte – die sich nur nachträglich so nennen lässt – beleuchten zwei der gezeigten Filme. Manfred Noas Nathan der Weise von 1922 hält sich eng an die Schauspiel-Vorlage von Lessing mit seiner bekannt humanistischen Botschaft. Über die Thematisierung des religiösen Antisemitismus am Anfang der 20er Jahre im Film mag man allerdings streiten. Denn wenn sich auch der moderne Antisemitismus unter anderem aus dem religiösen speist, so lässt sich an einer derartigen Fokussierung kaum mehr als Hilflosigkeit gegenüber zeitgenössischen Formen des antisemitischen Gerüchts ablesen.

Ganz anders positionierte sich nur zwei Jahre später Hans Karl Breslauer mit seiner Verfilmung von Hugo Bettauers Die Stadt ohne Juden. Dem Film ist vorgeworfen worden, von der Romanvorlage mit einer vergleichsweise versöhnlichen Botschaft zu sehr abgewichen zu sein – er legt nahe, das Geschehene sei bloß ein Traum gewesen. Bettauer hatte in seinem düsteren Roman die Drohungen von christdemokratischen Politikern Anfang der 20er, Wien „judenfrei“ zu machen, Wirklichkeit werden lassen. Doch bald stellt sich heraus, dass die ökonomischen Probleme, für die man die Juden verantwortlich gemacht hatte, mit deren Ausweisung keineswegs gelöst werden können.

Die für eine Wiederabschaffung des Ausweisungsgesetzes notwendige Zweidrittelmehrheit im Parlament – und hier nimmt der Film genau wie das Buch seine interessanteste Wendung – lässt sich aber nicht etwa durch Aufklärung über die Unsinnigkeit der Maßnahme oder die Evidenz der fortdauernden Wirtschaftskrise herstellen. Statt dessen wird die eine Stimme, die zur Abschaffung des Gesetzes noch fehlt, allein durch List gewonnen.

Wiedererkennen lässt sich die Sprache moderner Antisemiten, wie sie in Breslauers Film festgehalten ist, noch in der knapp 20 Jahre später vor SS-Gruppenführern gehaltenen Geheimrede Heinrich Himmlers. Seine über drei Stunden lange Durchhalte-Rede ließ er für künftige Generationen deutscher Sieger aufnehmen, in den Nürnberger Prozessen und später der historischen Forschung galt sie als eines der wenigen Dokumente, in denen die Vernichtung der Juden von einem Nationalsozialisten offen bekannt wird. Romuald Karmakar hat sie in seinem jüngsten Film von dem Schauspieler Manfred Zapatka in voller Länge lesen lassen.

In wenigen Einstellungen, fast ohne Schnitte und ohne dass ein Gegenschuss einmal die Zuschauer zeigen würde, hält Das Himmler-Projekt den Kampf Zapatkas mit dem Text fest, dessen Originalaufnahme er nie gehört hat. Indem Zapatka Himmler also nicht imitiert, sondern vielmehr mit ruhiger Nachrichtensprecherstimme den Text verliest, lenkt er die Aufmerksamkeit des strapazierten Zuschauers vollkommen auf die Sprache der Rede. Anders als in Warheads, oder Der Totmacher spielt Karmakar hier einmal nicht mit der eigentümlichen Faszination von Gewalt. Sondern er entblößt minutiös eine Sprache, von der nur zu gerne angenommen wird, sie könne das geschehene Morden eigentlich nicht zu fassen bekommen. In der Wahl seiner ästhetischen Mittel hat er sich stark an Lanzmann und Ophüls orientiert, deren Purismus bis an seinen äußersten Rand getrieben.

Dass auch Filme, die für den Zuschauer keine reine Anstrengung bedeuten, durchaus einiges über die Judenvernichtung deutlich machen können, zeigte 1997 Roberto Benignis Das Leben ist schön. Nicht umsonst ist dies der erste die Tagung begleitende Film, die sich diesmal dem Thema „Holocaust und Populärkultur“ widmet. „Trivialisierung“, meinten damals die einen, „besser als nichts“, entgegneten andere.

Tatsächlich vermag die Komödie um einen Vater, der das Konzentrationslager seinem Sohn als ein Spiel deutet, bei aller Verharmlosung der Judenvernichtung zumindest eins über sie zu vermitteln: In Ermangelung von Erfahrungen mit einem solchen Ausmaß an Schrecken war es nicht unerheblich für die Überlebensstrategien der Juden, wie sie das Erlebte interpretierten. Und so konnte bisweilen sogar die Verharmlosung oder gar Leugnung dessen, was um einen herum in den Lagern geschah, einen größeren Willen zum Überleben hervorrufen als ein Erkennen des „Tatsächlichen“. Zwar hat nicht zwangsläufig, wer willensstark genug war, auch überlebt – einigen wenigen hat es aber geholfen.

Völlig andere Fragen nach einer Trivialisierung wirft ein kleiner Schwerpunkt der Reihe mit italienischen Filmen aus den 70er Jahren auf. Der Nachtportier von Liliana Cavani thematisiert es noch mit Ernsthaftigkeit, in Salon Kitty und The Red Nights of the Gestapo ist der Nationalsozialismus nur noch beliebig austauschbarer Hintergrund für ihre trashigen Sex&Violence-Darstellungen. In Deutschland waren diese Filme fast nie zu sehen, in wenigen Videotheken werden sie unter dem Ladentisch gelagert. Richtigen Nazis, seien sie alt oder neo, dürften die Machwerke allerdings zu despektierlich sein.

Das Leben ist schön: Do, 17 Uhr; Der Nachtportier: Do, 19.15 Uhr; Die Stadt ohne Juden: Do, 21.30 Uhr; Zug des Lebens: Fr., 17 Uhr; Das Himmler-Projekt (in Anwesenheit von R. Karmakar und M. Zapatka): Fr, 20 Uhr; Nathan der Weise: Sa, 19 Uhr; Double-Feature Salon KittyundThe Red Nights of the Gestapo: Sa, 21 Uhr, alle Metropolis

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